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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Menge Zellophantüten über die Glasplatte. Erst da blickte sie zu Döhring auf, und ihre Augen fragten neugierig, ob das die Möglichkeit sei, wirklich, noch nie für sich eingekauft. Döhring nickte und merkte, dass er rot anlief.
    Wir führen zwei Skalen, zwei vollständige Skalen, hörte er die nüchterne Stimme des Fräuleins. Alle Grautöne zwischen Schwarz und Weiß. Und sie wolle ihm auch gern die andere Skala vorführen, von Weiß sämtliche möglichen Farben bis Schwarz.
    Worauf die geschickten Finger das andere knisternde Paket vor ihn auf die Platte zauberten. Er blickte etwas ungläubig und gereizt auf die Frau, weil er sich wieder an einer unwahrscheinlichen Behauptung stieß. Warum musste diese Frau solche Floskeln von sich geben. Was hieß sämtliche möglichen Farben. Doch während er sich darüber aufregte und bevor es ihm gelang, wieder aufzublicken, geschah im Dunkeln etliches. Auch wenn nichts anderes geschah, als dass hinter der Falte seiner gesenkten Lider unerwartet ein uraltes Dampfschiff auftauchte, vielleicht von der vorangegangenen Nacht her.
    In einer kargen, sonnenbeschienenen Landschaft, zwischen kahlen Felsen stampfte ein altes, verrostetes Dampfschiff eifrig das enge, seichte Flussbett hinauf.
    Wie lächerlich und läppisch, dieses eifrige Stampfen.
    Er wollte schreien, aber zu spät, schon hörte er den furchtbaren Aufprall, der von den hohen Felshängen laut widerhallte, dann das Knirschen, als die im Flussschlamm verborgenen Klippen das Schiff seitlich aufschlitzten.
    Der Schiffsrumpf erzitterte, aber die Kolben wurden nicht abgestellt, der Dampfer mühte sich noch immer keuchend den Fluss hinauf. Dann ging es nicht mehr weiter, das Schott wurde aufgerissen, Wasser strömte ins Heck, aus dem Kamin quoll dichter, dunkler Rauch, dann auf einmal heller werdende Dampfwolken.
    Zwischen den hohen Ufern des einstigen breiten Stroms eingeklemmt, legte sich das Schiff langsam auf die Seite, blieb so liegen. Niemand rührte sich, niemand rief.
    Eine stumme Landschaft.
    Niemand konnte sich rühren, niemand rufen, es war niemand auf Deck. Ein leeres Schiff. Keiner da, hörte Döhring die Erklärung mit seiner eigenen überraschten Stimme, weil ich das Schiff bin.
    Das bin ich. In diesem Augenblick verstand er nicht, warum ihm der am Morgen schon vergessene Traum wieder in den Sinn kam, und auch nicht, wer er sein sollte, der auf diese Weise zu sich selbst sprach. Als wäre in ihm jemand anderer, der zu ihm redete.
    Er war völlig verwirrt, wahrscheinlich starrte er auch das Fräulein ziemlich belämmert an.
    Es macht übrigens nichts, wenn Sie Ihre Größe nicht kennen, bei uns dürfen Sie jederzeit alles anprobieren. Überhaupt kein Problem, das heißt, Sie brauchen nicht das Gefühl zu haben, Sie seien zum Kauf verpflichtet.
    Das sei die Geschäftsphilosophie bei ihnen, erklärte sie triumphierend.
    Döhring lächelte beflissen, auch wenn seine Mimik eher Verzweiflung verriet. Er sollte etwas verstehen und erfasste nicht einmal die Klanggestalt der Wörter richtig. Noch immer hoffte er, den philosophischen Exkurs des Fräuleins unterbrechen zu können. Und zuckte zurück. Im starken Licht der Spotlampe sah er ihre langen, beweglichen Finger vor sich, die geronnen roten, krallenartigen Nägel auf dem glänzenden Zellophan, und schon wieder wurde er fortgetragen. Da war noch das Dampfschiff, aber er sah auch schon sich selbst, wie er als Kind im abkühlenden Wasser der Badewanne sitzt. Aus voller Kehle brüllend, nicht die Stiefmutter solle ihn waschen, die Tante solle kommen. Das liebte er sehr. Wenn die Tante kam, war es, als würde sie mit ihren langen, roten Nägeln seine Haut, sein Fleisch, seinen ganzen Körper aufpflügen.
    Die Seife rutschte ab, die schmale Schneide des Nagels ritzte lustvoll seinen Körper.
    Gleichzeitig hatte er das Gefühl, er höre in diesem großen, dunklen Raum, der keinen Ausgang mehr hatte, noch andere menschliche Stimmen. Sie kamen hinter der Musik hervor, bahnten sich einen Weg durch das Getöne. Er wurde auf das kitzlige Lachen eines Mannes aufmerksam. Bis dahin hatte er noch nie beobachtet, wie die verschiedensten Gedanken, Gefühle und eigenartigsten Geschichten zerfransend nebeneinander herlaufen. Auf das kurze Lachen antwortete das gutmütige Brummen eines anderen Mannes. Aber in diesem Augenblick konnte er mit dem lange vergessenen Bedürfnis und seiner Befriedigung ebenso wenig anfangen wie mit dem seitwärtsgekippten Schiff, das leck war, aber

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