Parallelgeschichten
Augenblick inne und wandte sich um, als erwarte sie von Döhring eine Zustimmung oder Bekräftigung.
Sie war schlank, hochgewachsen und zog eine leichte Duftwolke hinter sich her.
Ihre Gesichter kamen sich im Dunkeln vertraulich nahe, und während Döhring fühlte, dass das bestimmt nicht unabsichtlich geschah, vergewisserte sich das Fräulein mit einem Blick, dass sie den jungen Mann geködert hatte. Aber obwohl sie mit dieser schmeichelnden, sanften, fast familiären Stimme zu ihm sprach, als kennten sie sich weiß Gott wie lange schon und würden einfach ein viel früher begonnenes Fachgespräch weiterführen, blieb ihr stark geschminktes Gesicht teilnahmslos wie eine Maske. Schöne Augen, aber der Blick vor lauter Disziplin leblos, und in ihrem Auftreten etwas bewusst Abweisendes.
Vielleicht kann man im Dunkeln von so heiklen Themen gar nicht anders sprechen.
Oder gerade weil sie den Panzer der Unberührbarkeit angelegt hatte, konnte sie dem Intimbereich anderer Menschen so nahe treten, ohne deren Scham zu verletzen.
Döhring begann das Ganze eher nur als ein Schauspiel zu betrachten, ohne dass er selbst ein Darsteller darin wäre. Das Fräulein war kaum ein paar Jahre älter als er und hatte doch schon etwas völlig intus. Als spräche nicht wirklich sie, als bewegte sich nicht wirklich sie, als hätte sie eine andere lebende, atmende Person verschwinden lassen, der sie ihre leibliche Hülle lieh, sie ihr zur Miete gab, einschließlich ihrer Stimme. Diese attraktive Person verströmte eine entsetzliche Gleichgültigkeit. Dann sind aber ihre Qualitäten doch in ihrem Körper zu finden, dachte Döhring, aber wie und wohin sie ihre Charaktereigenschaften hatte verschwinden lassen, sah er nicht.
Und doch blieb ihre Anziehungskraft völlig intakt, sie führte ihn, er trottete, ihr ausgeliefert, hinterher.
Ihre kurz geschnittene Knabenfrisur glänzte von Gel, sie trug eine dunkle Hose, eine dunkle Jacke, darunter ein viel zu großes, blass gestreiftes, leuchtend weißes, bis zur Taille aufgeknöpftes Männerhemd, aber auch feingeschnittene Pumps mit sehr hohen Absätzen. Sie durfte nicht ganz Mädchen sein, sondern eher ein fraulicher Junge. Döhring war nicht nur von dem absichtlich zweideutigen Äußeren dieses seltsamen Geschöpfs benommen, sondern auch von der Beleuchtung und der Einrichtung. Er befand sich in einem dämmerigen Raum unbestimmter Größe und hatte sich dieser kenntnisreichen und energischen Figur überlassen, die ihn in dieses in seinen Eigenschaften unbekannte Labyrinth führen würde, hinein und hindurch.
Das Geschäft war durch eine stumm rotierende Glasdrehtür von der im Übrigen nicht sehr belebten Nebenstraße isoliert. Drinnen, in der dumpfen Stille, lief kaum hörbar eine psychedelische Musik, langsam gedehnte Tonbögen, sich wiederholende Rhythmen. In diesem Raum hatten rüde oder plötzliche Regungen keinen Platz, alles, was die für den Einkauf nötige Stimmung stören konnte, war ausgeblendet. Das Fräulein, getrieben von ihrer neutralen Begeisterung, sprach gleichmäßig und gedämpfter weiter, beinahe unaufhaltsam. Im weichen Dunkel ahnte man bogen- und wellenförmige hübsche Pulte und ausgeklügelt verteilte Paravents. In der Tiefe glänzten riesige Spiegel mit gebogener Oberfläche, es ließ sich nicht feststellen, was wo begann oder wo eine Perspektive aufhörte. Sie gingen über einen weichen anthrazitgrauen Teppich in Richtung eines fernen Pults, unter einer schwarzen Decke. An verborgenen Punkten leuchteten ein paar Spotlampen.
Weiße, nackte Gipstorsos saßen, standen oder lagen in den ovalen Lichtpfützen.
Döhring protestierte leise, mit einer Art Murren.
Er sagte, atmend oder nicht, er vertrage keinerlei Synthetik am Körper. Es gebe keinen so seidigen und was weiß ich was für porigen Kunststoff, der seine Haut nicht aufreibe, wund reibe.
Von jeglichem Kunststoff schwitze er wie ein Pferd.
Er trug absichtlich dick auf. Er wollte die unbekannte Person hinter der Maske hervorholen.
Das Fräulein blieb wieder einen Moment stehen. Sie musterte ihn rasch und mit einem Expertenblick, wie um seine körperliche Beschaffenheit, mit der sie zu tun haben würde, zum ersten Mal gründlich in Augenschein zu nehmen. Mit ihrem Blick drang sie gleichsam unter seine Kleidung, tastete ab, welche Formen sie antreffen würde, wenn sie ihn auszog.
Döhring war das im Grunde gar nicht unangenehm, auch wenn ebenfalls nichts Persönliches im Spiel war. Außerdem hatte er die
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