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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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angenehm berührt feststellen, wie sehr sie sich glichen. Oder auch nicht glichen, aber wie selbstverständlich ihre Zusammengehörigkeit war. Das Geräusch ihrer Schritte hallte gleichmäßig von den Hauswänden wider.
    Eisige Luftzüge fuhren zwischen ihren Gesichtern hindurch und schlugen ihnen ein kaltes, fädiges Nieseln in die Augen. Sie mussten sich doch etwas aneinanderschmiegen, was auch Ágost nicht unangenehm war.
    So kamen sie nach Hause.
    Zu so später Stunde lag Totenstille über der Stadt. Autos fuhren nicht, zuweilen rasselte eine leere Straßenbahn über die Ringstraße. Dunkel, stumm, vom Nieseln glänzend breitete sich das Oktogon aus. Auch kaum ein Fußgänger, höchstens auf der gegenüberliegenden Seite, wo ein paar Tage zuvor das Café Savoy neu eröffnet worden war. Auf der Seite der Andrássy-Allee, hinter den verdunkelten Fenstern des ersten Stocks, war die Bar wieder im Betrieb. Dumpf dröhnte das Schlagzeug gegen die Wände, zwischendurch schrie siegreich, schmerzhaft das Saxophon. Es kamen Gäste mit dem Taxi, oder von drinnen ergoss sich eine erhitzt herumschreiende Gesellschaft, ihrerseits von einem Taxi erwartet. Türenschlagen, Abfahrt, dann wurde die Nacht wieder stumm. Etwas weiter weg, dort, wo die Leuchtschrift der U-Bahn-Toiletten den Gehsteig scharf ausleuchtete, sah man ein paar Gestalten. Die Frauentoilette wurde abends geschlossen, die für die Männer blieb bis zur Morgenfrühe offen. Dafür zuständig war Balter.
    Frühmorgens, in der Nacht, mehrmals am Tag musste er über die Ringstraße humpeln, und für diese Arbeit wurde er vom Hauptstädtischen Kanalisationsunternehmen extra bezahlt. Um diese Stunde erschien im scharfen Licht noch hin und wieder ein Kopf, kam vom Untergrund heraufgestiegen, darunter wuchs die dazugehörige Gestalt hoch, Stufe um Stufe. Eine andere folgte, oder jemand machte Schritte nach unten, tauchte langsam ab.
    Es war nicht klar, was da vor sich ging.
    Vereinzelte Schatten weiterer Männer warteten zurückgezogen unter den Torbögen in der Nähe. Andere standen einfach hinter der beleuchteten Litfasssäule herum und rauchten Zigaretten. Wieder andere taten so, als machten sie auf niemanden Jagd, als warteten sie am Gehsteigrand auf die selten verkehrende Straßenbahn.
    Wenn die endlich kam, stiegen sie nicht ein.
    Gyöngyvér war bemüht, keinen Lärm zu machen, nicht laut zu reden. Jede Nacht bei ihrer Heimkehr schreckte in der großen Ringstraßenwohnung jedermann hoch oder zog sich das Kopfkissen über den Kopf.
    Du bist völlig übergeschnappt, zischte sie wütend und lief in ihren leichten, halbhohen, mit Schwanendaunen besetzten Pantoffeln durch das große Zimmer, um die Läden an den zwei hofseitigen Fenstern rasch zu schließen. Das nachgedunkelte, ausgetrocknete alte Parkett knarrte laut unter dem Klackern ihrer Schritte. Wie kannst du so etwas tun, um Gottes willen. Auch darauf gab Ágost keine Antwort. Nicht einmal mit den Blicken riss er sich von sich selbst los.
    Ihre Heimkehr folgte einem täglichen Ritual. Gyöngyvér ging zuerst auf die Toilette, dann ins Badezimmer, Ágost direkt in die Küche. Auswärts aß er selten, er war ausgehungert, musste etwas hinunterschlingen. Türen öffneten sich, Türen gingen zu, in festgelegter Ordnung klickten die Lichtschalter. Der starke Strahl von Gyöngyvérs Urin schlug mit scharfem Ton gegen die Wand der Schüssel oder ergoss sich ins Wasser.
    Kristóf konnte nicht viel machen.
    Wenn er das Pinkeln im Traum hörte, sah er es aus nächster Nähe, als würde er es mit der Zunge berühren. Eine Erinnerung, die oft wiederkehrte. An einen heißen Sommernachmittag, als Viola in einem durch Läden verdunkelten Zimmer die Unterhose ausgezogen und sich über ihn gekauert hatte und Szilvia von ihm verlangte, er solle sie lecken. In Dunavecse war das gewesen, nicht weit vom Wasser. In den verdunkelten Zimmern des großen Hauses, in dem es überall knackte und knarrte, hing der schwere, durchdringende Geruch des Sumpfs. Leck sie da, leck sie. Sie flüsterte aufgeregt. Mach schon, das ist gut, wovor hast du Angst. Den Geschmack spürte er noch lange auf der Zunge.
    Nichts sonst hatte einen solchen Geschmack.
    Ihrer Aufregung entnahm er, dass Szilvia es mit Viola schon gemacht hatte. Der Sumpfgeruch rutschte in diesen Geschmack hinein, er wurde beides nicht mehr los. Er rechnete damit, dass ihn auch andere Mädchen dazu auffordern würden, und er belauerte sie. Obwohl er sich dafür verachtete, Belauern,

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