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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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wie es die Männer machten. Es kam ihr der Verdacht, dass er es vor anderen schon getan hatte. Nur vor mir nicht. Nicht einmal so viel Vertrauen hat er in mich. Schon fraß die Eifersucht an ihr. Gleichzeitig dämpfte sie ihren Ausruf, damit man sie im Nebenzimmer nicht hörte.
    Ein Glück, dass sie sich einigermaßen beherrschen konnte. Mit Kristóf teilte sie gern alle ihre Freuden, ihre Leiden hingegen doch lieber nicht.
    Es gab in ihrem Leben kaum eine Stunde, kaum einen Augenblick, in denen sie ihren Erregungen oder Gefühlen freien Lauf lassen konnte. Von Kristóf wusste man nie im Voraus, ob er zu Hause schlief oder wieder für Tage verschwand. Auch ihn beneidete sie, der hatte es gut. Sie beneidete alle, der Neid fraß ihre ganze Seele, alles Gute an ihr auf, dahinter lauerte die Gier nach Liebe. Nur ich habe es nicht gut. Es war nicht gleichgültig, ob sie frei herausbrüllen durfte oder auch dann den Mund halten musste, wenn die Lust am intensivsten war. Die blieb immer ein wenig in ihr drin. Ágost konnte, wollte vielleicht den Damm nicht durchbrechen. Die eine wollte zu viel geben, der andere hielt sich zurück. Deshalb passten sie nicht zusammen, und das war es, was sie nicht verstand.
    Schon in der zweiten Woche hatte sie ihn angefleht, bitte, lass uns hier ausziehen. Das geht hier nicht. Das ist nicht zum Aushalten. Du schaust mich an, als würde ich was völlig Verrücktes sagen. Auch jetzt flüstere ich nur, ich halte dieses ewige Geflüster nicht aus.
    Dann red eben laut.
    Wie kann ich laut reden, wenn dieser kleine Idiot gleich da hinter der Tür ist.
    Du wirst dich daran gewöhnen.
    Manchmal dachte sie, es liege in der Familie, auch Kristóf antwortete immer so gleichgültig. Sie wusste es nicht. Vielleicht würde sie weggehen. Dann wieder dachte sie, bestimmt sind die so, weil sie Juden sind. Das sind sehr spröde, teilnahmslose, verschlossene Menschen.
    Kristófs Gegenwart im Nebenzimmer spürte sie an ihrer Haut, an den Haaren. Es machte sie gereizt. Oder auch seine Abwesenheit, auch das machte sie nervös. Sie spürte, wenn er schlief, dann war es eine andere Stille. Oder wenn er nicht einschlafen konnte und sich wach im Bett wälzte. Dann quälte sie ihn mit den kleinen Tönen, die sie hinübersandte. Aber es kam nie eine Antwort. Auch wenn sie nicht hätte sagen können, was für eine Antwort sie aus dem Dunkel des Nebenzimmers erwartete. Sie hätte erreichen wollen, dass Kristóf seine Überheblichkeit verlor.
    Ágost stand einsam und nackt in dem fast leeren Zimmer, in einigem Abstand zu der hohen Flügeltür, die zu Kristófs Zimmer führte. Auch jetzt wussten sie nicht, ob er da war.
    Die Nachttischlampe mit dem Wachsschirm beleuchtete Ágost von unten und streckte seine nackte Gestalt zu einem langen, schräg verbogenen Schatten an der Wand. Seine Umrisse scherten aus, kamen zurück, der Schatten zitterte, während sich seine Hand, sein Ellenbogen, sein Arm bewegten. Hinter ihm stand die Flügeltür zum Wohnzimmer sperrangelweit offen. Nicht einmal die Läden an den beiden hohen Fenstern hatte er zugemacht. In sich versunken, langsam, mit seltsamen, gebrochenen Bewegungen streichelte er sich selbst. Er zeigte etwas und hielt es zugleich zurück. An seinen geübten Bewegungen war zu erkennen, dass er wusste, was er tat, warum er es tat, und dass er dazu niemanden brauchte. Als schwebte sein Lächeln wie losgelöst von seinem Gesicht. Es schmerzte Gyöngyvér besonders, dass das Lächeln nicht ihr galt, es galt niemandem. Vom Laubengang oder von einer der hofseitigen Wohnungen konnte man beliebig hereinsehen.
    Warum machst du das vor mir? Bist du verrückt geworden?
    Keine Antwort.
    Keine Nacht, in der sie vor Mitternacht nach Hause gekommen wären. Als sagte Ágost, bloß weg hier, irgendwohin. Kein Abend, an dem sie nicht ausgingen. Warum willst du dann nicht ausziehen. Auch darauf keine Antwort. Meistens wurde es ein Uhr, manchmal halb zwei. Jeden Abend waren sie etwas beschwipst. Gyöngyvér sang auf dem Heimweg Arien vor sich hin, übte die Tonleiter, ließ in den ausgestorbenen Straßen die Stimme turnen. Ágost hingegen verdüsterte sich, wurde wortkarg, auch wenn er behauptete, es sehe bloß so aus, als sei er schlecht gelaunt. Wirklich gut fühlte er sich nur, wenn er sich verschließen konnte. Gyöngyvér hängte sich bei ihm ein, ließ ihn nicht, klammerte sich an ihn, damit sie wenigstens im Gleichschritt gingen. Wer sie so mit langen, kräftigen Schritten gehen sah, konnte

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