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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Vorschub leisten, keine rechtlich gültige Form geben.
    Ein merkwürdiges Kind, sie konnte es, ehrlich gesagt, nicht gern bekommen. Oder sie war von ihm befremdet, weil sie seine Gegenwart hier nicht wollte. Ilona musste die Situation so akzeptieren. Der Hauswart seinerseits murrte Anfang jeden Monats, wenn sie die Miete zahlten, das Kind sei immer noch nicht angemeldet, lange mache er das nicht mehr mit. Sie sagten nicht, Ilona solle es zu ihrer Mutter zurückbringen, wo es bis dahin gewesen war, aber sie sagten auch nicht, sie solle es dabehalten. Ilona musste sehr früh aufstehen, um für alle rechtzeitig das Frühstück zu bereiten und das Kind in den Kindergarten zu bringen.
    In den zu Sprüngen und Brüchen neigenden Rohren gluckste, stöhnte das Wasser, blieb an Luftblasen stecken, begann dann zu strömen und regnete auf Gyöngyvérs schmalen braunen Körper, prasselte und klopfte auf die Emaille der Badewanne. Gyöngyvér musste alle zwei Wochen früh aufstehen, natürlich ohne Wecker. Sie passte sich Ágosts Lebensrhythmus an, verzichtete manchmal seinetwegen auf den Schlaf, nicht aber auf diese nächtliche Dusche. Das war vielleicht das Einzige, worauf sie bestand. Auch wenn die unruhigen Rohre im ganzen Haus zu zittern und die Wände zu sprengen schienen. Ihr glatter Körper, ihre zart geformten Glieder, ihre langfaserige, starke Muskulatur, ihre gespannte, scheinbar porenlose Haut, nichts strömte irgendeinen Geruch aus, solange sie sich nicht ihr billiges kleines Parfüm hinter die Ohren und in die Armbeuge tupfte. Merkwürdigerweise roch auch das dichte, kurzgeschnittene Haar nicht. Ágost hatte nie darüber nachgedacht, aber es war ihm wichtig, dass es so war. Wahrscheinlich wäre es auch so gewesen, wenn sie nicht dauernd geduscht hätte. Es war ein Zwang, eine Manie, eine Leidenschaft, aus unbekannten Gründen. Auch vor dem Schwimmengehen duschte sie, sie duschte, bevor sie ins Becken stieg, nachdem sie herausgekommen war, und nachts duschte sie auch dann, wenn sie schon am späten Nachmittag geduscht hatte, weil sie in die Oper oder ins Konzert gingen und sie sich umgezogen hatte.
    Bei dem unangenehmen Lärm war der Professor, bevor er ins Krankenhaus in der Kútvölgyi-Straße eingeliefert wurde, ebenfalls jede Nacht hochgeschreckt. Er schlief wirklich viel und tief, tagsüber, nachts, vielleicht wegen der hochdosierten Medikamente, und wenn er aufwachte, war er nicht ganz bei sich. Oder war ganz anderswo. Er saß im Dunkeln, starrte auf die Lichter und Schatten, die vibrierend über die Buchrücken huschten. Seit ihn seine Frau nicht mehr im gemeinsamen Bett duldete, und das war seit gut zehn Jahren der Fall, war er aufs Sofa seines mit Büchern und Papieren vollgestopften Arbeitszimmers verbannt, auf dem er früher nur während der Arbeit oder nachmittags ein Nickerchen gemacht hatte. Man wusste nicht, ob er sich an solche Dinge noch erinnerte. Sein Zustand hatte sich während einiger Monate rapide und unaufhaltsam verschlechtert, um sich plötzlich auf eine bestimmte Stufe einzupendeln. Als sei der Vorgang doch nicht ganz unumkehrbar, kam ihm zuweilen etwas von seinem Gedächtnis wieder, und mit einem Mal wurde er sich seiner gegenwärtigen Lage bewusst. Er stand zwischen seinen Büchern oder saß an seinen leer geräumten Schreibtisch und weinte.
    Einer der besten Köpfe seiner Zeit löste sich vor den Augen seiner Familie auf, und zwar rasant. Die Veränderung fanden sogar Leute beängstigend, die der Ansicht waren, dass er seine geistigen Fähigkeiten ausschließlich für Gemeinheiten verwendet hatte, für den gehorsamen Dienst an brutalen Mächten, und die ihn dafür hassten, ihn für einen Charakterlumpen hielten und verachteten. Da hatte er jetzt den Dreck weg. Aber in solchen Fällen verstummt sogar die Schadenfreude, der Anblick geistigen Zerfalls gemahnt zu sehr daran, dass wir über unser Denken und Wissen nicht wirklich verfügen.
    Manchmal erschien er in seinem langen weißen Nachthemd unsicher in einem der Zimmer. Er redete leise, mümmelte in sich hinein. Er wusste nicht, wer die verschiedenen Gestalten waren, die in diesen Zimmern verstreut schliefen oder plötzlich Licht machten, so dass er ganz geblendet war. Die taten das absichtlich. Rasch bat er um Wasser. Er musste aufpassen, dass sie ihn nicht hereinlegten. Er sagte, sie möchten entschuldigen, aber in dieser Wohnung kenne er sich noch nicht aus. Als gäbe es in seinem Bewusstsein noch ein anderes Zuhause. Sie zeigten ihm,

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