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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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hatte es Gyöngyvér für sich verbucht.
    Mehr wusste auch Kristóf nicht, und im Übrigen war ihm die Zukunft seines Cousins auch egal.
    Ninó hingegen musste verstehen, worauf ihr Sohn hoffte, worauf er wartete, woran er litt. Sie hatte sich auch schon in höheren Kreisen für ihn eingesetzt, allerdings vergeblich. Was sie nun überhaupt nicht verstand und worüber sie empört war. Von seinen konspirativen Aufgaben konnte sie naturgemäß nichts wissen. Besser gesagt, sie tat so, als wüsste sie nicht, was sie ahnen sollte.
    Oder vielleicht wartete er darauf, dass man ihm definitiv mitteilte, seine Dienste würden nicht mehr benötigt, weder die geheimen noch die offiziellen. Mit dieser Möglichkeit rechnete er ebenfalls. Warum sollte er dann Gyöngyvér damit ängstigen, dass er sie morgen vielleicht endgültig alleinlassen würde. Er verheimlichte es vor sich selbst, und doch achtete er darauf, ob man nicht nach Handhaben suchte, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Er sah dafür keine Anzeichen, oder wollte nicht sehen, dass zu diesem Zweck seine Freunde genügten. Es sei denn, dass sie alle beobachtet wurden, und das war es, worauf er achtgeben wollte. Er hielt an seinen Hoffnungen fest, hatte nicht einmal die Kraft, sie zu verdrängen. Dann nämlich hätte er zur Kenntnis nehmen müssen, dass er auf ewig in diesem elenden Land eingesperrt war, in diesem Gefängnis, das alles in allem seine Heimat war.
Patrie de merde.
Er musste den Rest seiner Tage in dieser tiefunglücklichen Stadt verbringen wie ein Exilierter, und er würde auf immer mit Leuten zusammengesperrt sein, die er weder mit dem Körper noch mit der Seele begehrte. Er begehrte niemanden, nichts. Er hatte die fixe Idee, dass in diesem Land ausschließlich Bedienstete und Gentry lebten, dazwischen niemand.
    Denen konnte er noch lange sagen, man müsse auch dann Eigenverantwortung übernehmen, wenn man unterdrückt wird. Er wurde bloß angestarrt, niemand hatte eine anständige Erwiderung parat, sie begannen gleich von anderem zu reden. Aber er würde nicht warten, bis ihn ihre Dumpfheit unterkriegte, ihre ständige schlechte Laune, ihre träge Benommenheit, ihre krankhafte Neigung zum Danebenreden, die ganze aus Ohnmacht geronnene Langsamkeit. Das würde er nicht abwarten. Auch von seinen Freunden hatte er die Nase voll. An ihnen sah er, wie sehr er sich verändert hatte. Hier passte man sich entweder der Mentalität der Bediensteten oder der Gentry an, eine andere Wahl gab es nicht, da es auch keine freien Menschen gab. Die hier hatten Häftlingsseelen.
    Mit seinen Freunden lebte er seit Jahren das sorglose Gentryleben, wofür er sich zutiefst verachtete. Gleichzeitig schien ihm seine Ernennung so sicher, er sah so viele deutliche Anzeichen dafür, diese ganze sinnlose Warterei war so unmöglich, dass ein Umzug wirklich keinen Zweck hatte. Und überhaupt, wohin zum Teufel sollte er ziehen. Geld hatte er auch keins, und hier konnte man nicht so einfach eine Wohnung kaufen, nicht einmal mieten. Er wiegte sich in Racheplänen. Wenn er dann sehen würde, dass die da wirklich so hoffnungslos waren, wie sie zu sein schienen. Nicht mit sich selbst würde er ein Ende machen, nein. Es wäre ihm nicht mehr schwergefallen, die Gegenseite vertraulich zu informieren, dass er gern für sie arbeiten würde. Oder zumindest auch für sie. Er wusste, wie man das machte. Er spielte mit dem abenteuerlichen Gedanken, gab aber noch keine Signale. Nicht, weil er Angst hatte. Warum sollte er kein Maulwurf sein, wenn er sein Leben sowieso unter der Erde verbringen musste,
comme une taupe ou un rat.
So viel konnte das Leben ihm nicht mehr bieten, dass es als Maulwurf nicht aufregender wäre. Und doch spekulierte er eher auf seine Ernennung, denn er hatte sich während der langen Jahre des Wartens ans Nichtstun gewöhnt. Er hoffte auf Paris. Im schlechteren Fall auf Rom, zum Mindesten auf Brüssel.
    Wozu sich dann beeilen. Am neuen Ort würde er unter viel günstigeren Umständen über seine weiteren Angelegenheiten entscheiden können. Und wozu das unnötige Gejammer seiner Mutter anhören.
    Er stand da mit gesenktem Kopf.
    Sein dichtes glattes Haar fiel ihm in die Stirn, unter seinen langen niedergeschlagenen Wimpern hervor konnte er seinen Körper noch gerade wahrnehmen. Dessen Anblick erregte ihn immer. Jedenfalls intensiver als der Körper anderer. Er war sich im Klaren darüber, wie maßlos und wahnsinnig Gyöngyvér jedes Teilchen seines Körpers verehrte. Und er verachtete

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