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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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der Spannung, während sie gleichzeitig fühlte, dass die nirgendhin mehr wachsen konnte. Wie das Erreichen einer höheren Region, ruckartig hochgestemmt. Von dort überblickte sie die Landschaft, eine Landschaft, die sie noch nie gesehen hatte. Ein Glück, dass sie es nicht aussprach. Sie sah ein, sie durfte nicht so weit gehen auszusprechen, dass sie ein Kind wollte. Das würde bedeuten, dass sie ihn liebte. Das durfte sie nicht verraten. Sie begann ihn zu lieben. Einfach, weil er ein schöner Mann war. Ein so schöner Mann, das war nicht für sie. Ich werde mich in dich verlieben. Aber noch nicht, noch nicht. Wenn sie es laut aussprach, würde sie nicht wegen des Mannes, sondern wegen sich selbst kommen. Wegen des Männerwunschbilds, das sie immer bei sich trug, und dann müsste sie sich jetzt von diesem Mann, von seiner Schönheit verabschieden. Mit abergläubischer Vorsicht sagte sie nichts, passte auf. Um die Sache für einmal nicht zu verderben.
    Es war, als wehre sie sich heftig, hysterisch, was Ágost sofort missverstand.
    Du brauchst vor mir keine Angst zu haben, flüsterte er nicht ganz ohne Stolz, wie gesagt, ich kann achtgeben.
    Während doch die Frau den Unpersönlichen in ihm spüren wollte, den, der nicht achtgibt.
    Seine Stimme drang von fern zu ihr.
    Ihren Sinn erfasste sie nicht.
    Und doch begann sie am gesunden Verstand des Mannes zu zweifeln. Als geschähe alles auf verschiedenen Stockwerken, und man gelangte nie auf den höchsten Punkt des Genusses. Seit vier Tagen wartete sie unter Geschrei auf sein abschließendes Todesröcheln, sie wünschte ihren und seinen Tod herbei. Sie verstand nicht, wie jemand noch nüchterne Töne von sich geben konnte. Obwohl auch sie nüchterne Töne von sich gab.
    Und um auch zu zeigen, was die Frau vielleicht nicht mehr auffassen und wegen des Pfeifens ihrer beschleunigten, sich mehr oder weniger kreuzenden Atmung auch nicht hören konnte, kehrte er schneller, kräftiger, gewissermaßen seine Rückzugsabsicht signalisierend auf dem langen und schon fast holperigen Weg zum Ausgang zurück. Als würde er ihn mit einem Scheinwerfer ausleuchten.
    Und dort sehen, was er vielleicht noch nie gesehen hatte, obwohl ihn das Bild, nahe, vertraut, immer begleitete. Er spürte seinen Schwanz nicht mehr, auch das nicht, was er mit seinem Schwanz fühlen konnte. Das Körpergefühl und das vermittelte Gefühl vermengten sich zu einem einzigen Bild, und dieses Bild fesselte ihn und nahm ihn mindestens so in Anspruch wie bis dahin sein Schwanz. Und mit Bildern, das wusste er aus Erfahrung, musste er aufpassen. Es wäre ihm schwergefallen zuzugeben, dass ihm Phantasiebilder mehr Genuss bereiteten als Menschen aus Fleisch und Blut.
    Das hier hingegen war nicht das Werk seiner Phantasie, die stark genug war, sämtliche Empfindungen zu löschen.
    Es galt, alles in Augenschein zu nehmen, nichts zu berühren. Seine Vorsicht funktionierte. Nicht hineinzugehen. Nur weiter weg zu bleiben, ein wenig weiter außen.
    Was in dem Augenblick auf die Frau so wirkte, als ließe man sie nicht an ihren Tod heran, der unaufschiebbar war.
    Für irgendwas, wegen irgendwas bat der Mann um Aufschub, den sie keinesfalls gewähren durfte.
    Er hingegen, der seine Selbstbeherrschung immer noch zu wahren, die Lage zu überblicken vermeinte, war so erregt, dass er sich gewissermaßen selbst versicherte, sie nicht verlassen zu wollen, nein, gar nicht, er käme gleich zurück. Bloß dürfe er auf diesem unebenen Gelände, und er sah dazu die mit Scheinwerfern ausgeleuchtete, pulsierende Wand der Höhle, keinen einzigen Schritt verfehlen. Da waren auch seine Augen, schon lange, er wusste nicht, wie lange schon, geschlossen. Weil er immer noch Distanz hielt, für sich die Notwendigkeit des Distanzhaltens aufrechterhielt, die andere viel früher und absichtlich aufzugeben wünschen, wurden seine Gesichtszüge vom hartnäckigen Krampf der physischen Anstrengung nicht entstellt.
    Andere streben auf etwas zu.
    Er sah einen Zaun, wieder den offenen Tordurchgang, durch den in der Nacht der starke Scheinwerfer eines Wagens huschte, der mit quietschenden Reifen wendete. Es war das Scheinwerferlicht seines eigenen Wagens, das er wiedersah.
    Und der Gedanke durchzuckte ihn, dass er bei scharfen Einsätzen, wenn plötzlich alles sehr riskant wurde, dem gleichen Verhaltensmuster folgte wie beim Liebemachen. Vor dem Tod noch einen Augenblick für sein Bewusstsein gewinnen. Ein oder zwei Augenblicke, etwas Zeit, einen ganzen

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