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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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ungeordneten Bildern tauchte das Vergangene wieder auf, wollte sie schon trennen.
    Sie intensivierten, verzögerten, vertieften mit arhythmischen, zufriedenen, ineinander übergehenden, auseinander entstehenden Tönen den gegenwärtigen Augenblick, um das Auseinanderfallen irgendwie zu verhindern.
    Auch die
tensio
vermindert sich, löst sich nicht gleichmäßig, woraufhin der Puls absackt, dann aber sucht sie den Rhythmus der vorangegangenen
contractio
und hievt sich wieder hoch, findet ihn nicht, sinkt wieder, hält nervös durch und ist bemüht, sich auf dieser tieferen Ebene zu stabilisieren. Dadurch bricht die Gegenwart herein, auch wenn sie Vergangenheit und Zukunft noch nicht hereinlässt. Das war das Glück, das berühmte Glück, das sich von der Physis nicht selbständig machen kann, auch wenn es nicht mit ihr identisch ist. Die Schläge des Herzens sind jedenfalls zwischen die Variationen der Inanspruchnahme und dem genetisch bestimmten Rhythmus des Sinusknotens eingefügt. Auf der einen Seite die Möglichkeit, der das Herz immer bereitwillig folgt, auf der anderen die spezifische Eigenheit, von der es sich nicht losmachen kann; der Grundrhythmus der Person, zu dem es immer wieder zurückkehrt.
    Jetzt oszillierte, rutschte es bei beiden zwischen den verschiedenen Takten, zwischen den verschiedenen Ebenen hin und her.
    Wenn man im Atemholen des anderen ein Glücksgefühl wahrnimmt, wird die eigene Atmung noch glücklicher, und man spürt auch nicht zufällig, dass man draufgehen könnte. Ich sterbe, ich liebe dich so, dass ich sterbe.
    Die geweiteten und aufgeweichten Poren, die übereinandergleitenden Glieder, die erschlafften Muskeln und Gelenke, die in Blitzen durchbrechende Erinnerung, der kaum wahrnehmbare Umriss, die miteinander verschmolzenen, heiß schmerzenden Schöße, die durchdringenden Gerüche.
    Draußen regte sich der warme Abend, stieß über ihren Köpfen das Fenster auf, zog es wieder zu, öffnete es wieder. Mit seinem trägen Saugen und Stoßen trieb es nur kurz einen frischeren Hauch über ihre nackten, schweißgebadeten Körper.
    Er brachte einen typischen Geruch der Stadt mit sich, in dem sie den Geruch der Vagina, der reichlichen weiblichen Absonderung und den fremden, schweren Geruch des herausfließenden Spermas und ihres vermengten Schweißes wahrnahmen. Er erinnerte sie an etwas, das um sie herum ausgeharrt und sich kaum verändert hatte.
    Das Dunkel roch nicht mehr nach Lecsó, so viel war gewiss. Der Geruch der abkühlenden Wände, vermengt mit dem der gegossenen Pflanzen, des aus den Mülltonnen im Hof heraufdunstenden süßlichen Zerfalls war stärker.
    Entzückt, trunken vor Bewunderung für den Mann, redete Gyöngyvér in dieser besonderen, ein wenig fremd gewordenen Sommernacht als Erste. Obwohl sie in dem Augenblick nicht genau wusste, an wen sie sich wandte, in ihrer Stimme lag eine Spur zu viel Distanz.
    Du warst, sie hauchte mit ins Dunkel geweiteten und wegen der Nähe stark schielenden Augen, du bist wie ein Techniker.
    Und während sie es sagte, hängte sie ihre anmutigen Füße energisch in die Kniekehlen des Mannes.
    In ihren gelockerten Gliedern war auf einmal eine unbestimmbare, fröhliche, ungezügelte Kraft. Ihre unabhängige, fremde Seele war berauscht. Sie genoss es auch, es endlich ausgesprochen zu haben. Obwohl es ihr vorher gar nicht hätte in den Sinn kommen können, da sie ja noch zu wenig Erfahrung mit dem Mann hatte, um ihm mit Worten Gestalt zu verleihen. Vielleicht gefiel ihr das Wort, weil es sie selbst überraschte. Sie spannte den Unterleib, gab Stöße mit der Hüfte, spannte sich hoch. In ihrer gelockerten Scheide fühlte es sich an, als hätte sie einen unverrückbaren Kiel in sich.
    Sie würde singen.
    Mit dem sie aufs offene Meer hinausfahren konnte. Ohne ihn würde sie versinken. Er ist deiner geworden, nimm ihn mit, flüsterte ihre Seele spielerisch und zügellos. Mit einer einzigen heftigen Bewegung stieß und kippte sie den um etliches schwereren und ausgedehnteren Körper herum, wälzte ihn unter sich.
    Wieder knackte das Bett, aber es war jetzt egal; ihre Körper klatschten, dröhnten aufeinander. Fast gelang eine vollständige Wendung.
    Der Mann half ihr dabei, vielleicht unwillkürlich, aber kräftig, trotzdem fielen sie halbwegs aus dem Bett. Um nicht auseinander herauszurutschen, musste sich Gyöngyvér mit gespreizten Schenkeln über ihn knien. Vielleicht von dem plötzlichen Stellungswechsel, oder wegen einer allgemeinen

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