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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Artikulation unweigerlich erschweren. In solchen Fällen müssen Zunge und Lippen jede Silbe mit höchster Genauigkeit bilden.
    Ein schlechtes Gewissen wäre in deinem Fall höchstens angebracht, weil du mit dem Personal immer noch nicht anständig umzugehen verstehst, und sonst aus keinem anderen Grund.
    Mária erwiderte dieses dramatisch artikulierte Gebrüll mit Lachen, woher weißt du das, sie wieherte geradezu.
    Woher weiß ich das, ich habe dich oft genug gehört. Wenn du es gelernt hättest, würden sie dich nicht immer sitzenlassen. Verflucht noch mal, warum lernst du es nie. Höchstens deswegen könntest du ein schlechtes Gewissen haben.
    Sie wollte ihr die Last abnehmen.
    Auch wenn sie mit diesen banalen Gesangslehrertechniken lächerlich zu wirken begann.
    Aber sie nahm sie ihr wirklich ab.
    Sie teilte die Tonstärke ein, steigerte sie künstlich, reduzierte sie, bildete mit geschürzten Lippen die Wörter, ohne dass ihr die Luft ausging, und fesselte damit Márias Aufmerksamkeit. Von tief unten, aus ihrem Schoß und dem Bauch, ließ sie die sorgfältig formulierte Besorgnis auf sie los, wobei sie mit dem gleichmäßigen, etwas rau widerhallenden Pulsieren ihrer Stimme das unterschwellige, von Stein, unterirdischen Wänden und dumpfen Kellergewölben verstärkte Stampfen des Schleppers unwillkürlich kontrapunktierte. Als würde sie vorführen, so steigern wir das Drama, und so schwächen wir es mit denselben Mitteln schön wieder ab.
    Obwohl sie ihren beträchtlichen, braungebrannten, stark runzeligen Busen anhob, zusammendrückte und schamlos den Blicken preisgab, hatte sie etwas zutiefst Asketisches und Demütiges. Ihre moralische Haltung, ihre Erscheinung und ihre Arbeit hatten sie zur Priesterin ihres Berufs gemacht, bei ihren Schülern rief sie ehrfürchtigen Respekt hervor. Auch wenn die nicht verstanden, warum sie so viel rauchte. Während sie die Luft einteilte, zitterte und waberte das Fleisch überhitzt im Ausschnitt der reichbestickten, gerafften Spitzenbluse. In Márias kritischem Blick behielt der schwüle, üppige Anblick die Oberhand, obwohl ihr widerstrebender Körper sich im Strom der vertraut tiefen Stimme unmerklich lockerte.
    Die roten Körnchen der Korallenkette hüpften auf den vibrierenden Runzeln.
    Mária lachte schallend, wie ein kleines Mädchen. Sie dachte, sie lache wegen dieses Anblicks, in Wahrheit lachte sie eher wegen einer Empfindung.
    Man braucht einen gewissen Abstand, um die eigenen Reaktionen zu verstehen.
    Sie kicherte, genoss die Distanz, die Médi mit ihrer Stimme eröffnete und überbrückte.
    Sie selbst entwarf Theaterkostüme und betrachtete also die banale Theatralik ihrer Freundin vom Gesichtspunkt eines verwandten Fachs; um einen Extraverdienst zu haben, der ihrer beider Leben sicherte, nähte und schneiderte sie für allerlei kleine Stars. Hu, ist ja toll, diese weiße Spitzenbluse auf einem solchen runzelig gebrannten Busen, das schien ihr Gelächter zu sagen.
    Bloß geriet bei dem Lachen das mit dem Arm angehobene, gegen die Wand des Spülbeckens gestützte schmutzige Geschirr ins Rutschen.
    Zuerst schlitterte ein roter Emailledeckel herunter und drohte die aus verschieden großen Desserttellern und Platten bestehende bunte Säule in Bewegung zu bringen. Sie versuchte ungeschickt, den Deckel mit der anderen Hand von unten zu greifen. Was nicht gelang, und schon rutschten die Teller, gerieten auf den Wölbungen der größeren Platten in Schwung. Dabei zerbrach das Glas in ihrer Hand, sie schnitt sich in den Finger, schrie auf und gab dem ganzen Haufen unwillkürlich einen Stoß. Höllischer Lärm folgte. Die beiden Frauen in der Tür wollten ihr beispringen. Aber das Rutschen, Scheppern, Klirren ließ sich nicht aufhalten, die Küchenfliesen waren augenblicklich mit zerborstenen, bunten Scherben übersät.
    Sie hätten keinen Fuß irgendwohin setzen können.
    Genauso plötzlich legte sich völlige Stille übers Schlachtfeld.
    Alle drei standen bewegungslos da und starrten auf den traurigen Anblick. Mária, den Finger im Mund, ging auf den Scherben rückwärts zur offenen Tür des Dienstbotenzimmers und lehnte sich dagegen, die Tür schlug gegen die Wand. Aber was war das schon gegen die Dinge, die sie in ihrem Leben hatten kaputtgehen sehen. Ein paar Sekunden, dann lachten sie gleichzeitig auf, wie wenig war das doch im Verhältnis zum anderen, man hörte das tiefe Stampfen des Schleppers. In dem noch ein anderes Pochen auszumachen war, das sich von Zeit zu

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