Parallelgeschichten
Ungarin war. Sie bildete die Vokale in einem weiteren Raum als nötig, und um Fragen oder Witzeleien zuvorzukommen, fügte sie, wenn sie ihren Namen nannte, oft hinzu, sie stamme aus einer Familie aus Oberungarn, ja, manchmal gab sie die Erklärung zuvorkommend schon im Voraus.
Dann sag doch wenigstens, was du willst, rief sie aufgebracht, über das Dröhnen und Klopfen ihrer Schritte und das Knarren des Parketts hinweg, woher zum Geier sollen wir wissen, was du willst.
Was macht ihr jetzt diese sinnlose Szene, rief ihnen Margit Huber nach, womit sie die beiden natürlich nicht bremsen konnte, auch nicht wollte. Wenn es für das, was sie in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht hatten, keine Erklärung gab, und es gab für keinen einzigen Tag eine Erklärung, wie hätte dann ein solcher Wutausbruch einen verständlichen Grund haben sollen. Sie folgten einander trotzdem durch die verschiedenen Gefühlssümpfe hindurch, denn sie verstanden sich doch noch besser, als sie andere verstanden. Wenigstens soweit man jemand anderem folgen oder in seine Seele hineinsehen kann. Was aber ihrer Erziehung gemäß nicht hieß, dass man alles schlucken musste. Dem etwas beleidigten, aber doch großzügig verzeihenden Gefühl, mit dem Dobrovan ihrer Freundin folgte, widerstand Margit gewissermaßen mit dem ganzen Körper. Sie fand die beiden und das Ganze schauderhaft, ihre eigene Rolle inbegriffen. Die eine war ihr zu aufbrausend und befehlshaberisch, die andere zu sentimental.
Zuerst rannten sie durch ein noch größeres Zimmer, das Mária Szapáry als Atelier benutzte, gelangten dann durchs Entree in einen engen Verbindungsgang, wo man in der steckengebliebenen Sommerabendluft plötzlich den dicken, abgestandenen Speisengeruch der Küche wahrnahm. Wohin sie auch gingen, überall brannten Lichter, was Margit Huber besonders ärgerte. Aber nur selten erlaubte sie sich, wenigstens eins auszuschalten und damit ihrer Sparsamkeit Genüge zu tun. Dazu gab es auch wenig Gelegenheit, Mária Szapáry führte sie jeden Abend mit aus- und einladenden Bewegungen in den Salon und hatte es sichtlich nicht gern, wenn man den verließ.
Darin war sie wirklich komisch. Sie lachten sie aus, sagten, sie habe einen Verfolgungswahn.
Die Türen standen offen, die Lichter brannten überall, es war auch niemandem vorgeschrieben, was er zu tun und zu lassen habe, und doch waren die übersichtlichen, hellen kahlen Zimmer mit einem strengen Tabu belegt. Wenn sich jemand trotzdem selbständig machte oder hinausmusste, wurde Mária nervös, blickte ihm durch die offenen Türen nach, oder noch schlimmer, brüllte ihm hinterher.
So gute Freundinnen sie auch waren, wegen solcher Macken lachten sie sich höchstens aus, in die Tiefe gingen sie nie, fragten nie nach. Nicht nur, dass sie sich nie umarmten oder küssten, sie hätten auch nicht gern gesagt, sie seien gute Freundinnen.
Vielleicht dachten sie es nicht einmal.
Es schlug ihnen nicht nur der Geruch abgestandener Speisen entgegen, sondern auch der des überquellenden, deckellosen Mülleimers und des seit Tagen, vielleicht seit Wochen nicht gespülten Geschirrs, das in der Küche sämtliche waagrechten Oberflächen bedeckte; es stand auf dem Kochherd, füllte das Spülbecken und türmte sich in labilen Pyramiden auf den Küchenstühlen und auf dem mächtigen gehobelten Tisch, der wahrscheinlich aus einem der liquidierten Schlösser stammte.
Das ist ja grauenhaft, hör mal. Was ist denn hier passiert, fragte in der Tür Margit Huber verblüfft.
Der Schlepper war nur als rasches Pulsieren zu hören.
Mir scheint, du hast wieder einmal keine Zugehfrau, sagte Izabella, auch sie schien empört.
Und das stinkige Vieh hat mich auch noch sang- und klanglos sitzenlassen, sagte Mária wütend, und da sie im Küchenschrank natürlich keine passenden Gläser fand, wühlte sie mit beiden Händen zwischen dem schmutzigen Geschirr im Spülbecken. Regt mich jetzt nicht auch noch damit auf.
Wenn mich nicht alles täuscht, sind seither gute zwei Wochen vergangen.
Bei einer solchen Hitze ist das nicht ungefährlich.
Jetzt wusste sie wieder, wo sie die Gläser suchen musste. Aber die Aufgabe ging über ihre Kräfte, wütend, wie sie war. Auch wenn sie sich mehr oder weniger künstlich hineingesteigert hatte, schien es kein Zurück zu geben, was sie nicht ganz verstand. Es war eine Rolle, die sie den anderen vorspielte und die sie vor ihnen einigermaßen schützte. In solchen Fällen empfindet man sich selbst als
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