Parallelgeschichten
vernünftigen Satz mehr bilden, auch wenn sie mit großer Anstrengung Töne herausbrachte, die für ein geübtes Ohr nicht unverständlich waren.
Ein Mensch, der nach sämtlichen ärztlichen Prognosen schon längst hätte tot sein müssen.
Mária trat eilig auf sie zu, um ihr aufzuhelfen. Ruhe, Geduld, rief sie ohne jegliche Gereiztheit. Beruhige dich, mach nicht auch du noch ein solches Geschrei, Herrgott noch mal. Ich bin doch nicht taub. Aber kaum hatte sie die blonde Frau berührt, kaum war sie bei ihr, warf die den Kopf hoch, das ovale Gesicht von der Masse des silbrig durchwirkten blonden Haars befreiend, und stieß sie in der gleichen Aufwallung, in der sie sich zuvor selbst geschlagen hatte, grob von sich.
I don’t know
, rief sie mehrmals hintereinander,
I don’t know
, rasch, erbost, klagend, leidenschaftlich. Jedenfalls konnte man es so verstehen.
Gekackt hast du nicht, wie ich sehe, gepisst auch nicht, sagte Mária und warf einen gleichgültigen Blick auf das vor der eleganten Liege stehende Bettgeschirr, in dem sich tatsächlich nichts als ein bisschen Wasser befand. Was ist denn, sag’s schon, aber etwas verständlicher, was willst du.
I don’t know
, rief Elisa darauf noch verzweifelter, vorwurfsvoll,
I don’t know
, und ihre riesigen blauen Augen blitzten, sie drehte sie hin und her, sie rutschten, glänzten.
Mit ihrer stark mitgenommenen Schönheit überraschte sie Irma eigentlich jedes Mal. Als sei sie trotz ihres ganzen Elends immer noch so strahlend wie früher, zwanzigjährig, distanziert, als Irma sie zum ersten Mal gesehen hatte. Sie hatte, wenn sie ehrlich sein sollte, später starke Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose des zum Konsilium geladenen Professors Bókay. Das hätte sie zwar niemandem gegenüber geäußert, aber sie hatte den deutlichen Eindruck, dass die Hirnblutung, unabhängig von der Syphilis des Großvaters und vom stark schwankenden Blutdruck des Vaters, eine ausgereifte, kurz vor dem Ausbruch stehende Schizophrenie durchkreuzt hatte.
Sie konnte nicht vergessen, wie sie eine Woche vor dem Eintreten der Katastrophe auf der Margareteninsel zusammen zu Mittag gegessen hatten, auf der Terrasse des Palatinus-Bads, und wie da schon alles ganz offensichtlich auf Schizophrenie deutete. Ob diese in den Adern vielleicht die gleichen Vorgänge auslöst wie Arterienverkalkung oder Syphilis, das wäre die Frage. Irma hatte die Kinder dabeigehabt, was ihre Aufmerksamkeit ein wenig ablenkte, doch Mária war lange beim Umziehen in ihrer Kabine gewesen, und in dieser Viertelstunde hatte sie an der sanft wirkenden, eigentlich aber unerbittlich kühlen blonden Frau etwas beobachtet, das sich nur schwer in Worte fassen ließ.
Allmähliche Umnachtung.
Sie hätte Mária gern gewarnt, sagte aber dann doch nichts.
Die riesige, blauweiß gestreifte Markise aus Segeltuch flappte über ihnen im leichten Wind, darunter war die Luft stickig.
Auf der Terrasse spielte die Kapelle, und die junge Frau fand das zu laut, den Fettgeruch zu stark. Möglich, dass sie an der nicht zu verarbeitenden Masse ihrer fortwährend wechselnden Eindrücke litt, an der unglaublichen Intensität dieser Eindrücke, an der unglaublichen Tatsache, dass auf der Welt alles gleichzeitig präsent ist und dazu noch mit dem größten Nachdruck; trotzdem verströmte sie erschreckende Gleichgültigkeit und kühle Ruhe. Von sich selbst redete sie mit großer Eindringlichkeit, aber wie von einer wildfremden Person. Alle am Tisch ließ das erstarren, besonders die Kinder. Schon mit der Suppe hatte sie Probleme, fand sie zu sauer, dann behauptete sie, der Geruch des Gurkensalats mit Sauerrahm und Essig sei nicht zu ertragen, und sie bat die beiden Jungen, in ihrer Gegenwart nicht noch mehr Zitrone auf ihre Wiener Schnitzel zu pressen.
Mir, sagte sie mit einem bezaubernden Lächeln, ist nämlich alles zu sauer, zu wenig basisch.
In kühlen, exakten Sätzen ließ sie die ihre Befindlichkeit betreffenden Meldungen heraus.
Sie würden ja bestimmt verstehen, dass sie es nicht gern hatte, wenn man ihre persönlichen chemischen Reaktionen neutralisierte.
Im Übrigen hatte sie kein Wort für die andern, keine Frage, sie redete pausenlos von sich selbst, dieser anderen Person, oder beobachtete diese Fremde, ohne ein Wort zu sagen.
Die beiden lebhaften Jungen, normalerweise schwer zu zügeln, legten jetzt still und betreten die halb ausgepressten Zitronenschnitze auf den Tellerrand. Diese Frau hatte nichts mit dem Lächeln zu
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