Parallelgeschichten
tun, das sie sehen ließ, sie war mit dem düsteren Ich beschäftigt, das sie wie etwas Fremdes schonte und hätschelte.
Sie trug die ernste Schönheit dieser Fremden, war aber in keiner Weise identisch mit ihr.
Die ineinander pochenden Schiffsmotoren machten den Lärm in der Tat unerträglich, die Luft vibrierte, zitterte über der Terrasse des Restaurants. Durch die abendliche Kühle des Flusswassers brach der aufdringliche, warme Geruch von Rohöl, und die Luft füllte sich mit dem heißen, stinkenden Verbrennungsprodukt der Motoren.
Der eine Schlepper zog stromaufwärts laute Tanzmusik mit, vielleicht war ihr deswegen die Kapelle eingefallen.
Ja, ich weiß, du hast recht, zum Teufel mit meiner verdammten Vergesslichkeit. Ich habe deinen Sessel schon wieder nicht bereitgestellt, schrie Mária über den Lärm hinweg, als könne sie von der Erregung des anderen Menschen nicht erschüttert werden.
Seither sah natürlich auch Frau Szemző die Sache anders an.
Schon weil das Leiden die blonde Frau wirklich aus ihrem einstigen Ich herausgestülpt, sie aufmerksam, ja, fast demütig gemacht hatte, was bedeutete, dass sie nicht einfach litt, sondern mit ihrem Leiden den anderen auch nicht zur Last fallen wollte. Sie war durch ihre furchtbare Krankheit weicher geworden, wärmer, von ihrem nackten Hals, von ihren entblößten Armen strahlte Hitze ab. Aber Irma schreckte vor dem Anblick dieser Veränderung und dem Gefühl, das sie auslöste, genauso zurück. Sie kam nicht von dem Gedanken los, dass der Organismus in gewissen Fällen die seelische Katastrophe nur um den Preis einer physischen abzuwenden vermag. Wenn das aber so war, dann hatten die Ereignisse nicht nur einen Grund, sondern auch ein Ziel. Was zur törichten Frage führt, wer das alles lenkt, oder was das wäre, was ein Ziel hat. In diesem Fall hätte sie sich auch fragen müssen, wer ihre Kinder weggenommen hatte, und warum, und weswegen sie selbst am Leben geblieben war.
Das doch lieber nicht.
Denn das alles war leicht gesagt, aber die Konsequenzen waren unerträglich, und so begann ihr Bewusstsein lieber wieder von vorn, wie im Laufrad.
Der auf Rollen bewegliche Sessel war unerreichbar beziehungsweise zu nah, um die kranke Frau nicht zur Weißglut zu bringen. Wahrscheinlich hatte sie vergebliche Versuche gemacht, ihn mit ihrem Stock zu erreichen und irgendwie herbeizuangeln. Der Sessel war ein wunderschönes, museales Stück, aus der berühmten Schreinerei Steindl in Óbuda, vom Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, nunmehr in einem ziemlich schlechten Zustand.
Varga hatte sogar eine hochklappbare Fußstütze angebracht.
I don’t know
, antwortete Elisa,
I don’t know
, wiederholte sie, jetzt aber ganz anders, ihr Rufen hatte sich verändert, auf einmal klang es zufrieden, beinahe fröhlich und gleichzeitig erbost. Sie modulierte und schaukelte ihre Stimme zwischen diesen Affekten, zwar auf seltsame Art, aber doch fein und verständlich. Was einerseits bedeutete, dass sie sich von Mária verstanden fühlte und mit Befriedigung kundtat, wie gut das war, andererseits, dass es noch etliches zu klären gab.
Wie du siehst, antwortete ihr Mária, ist gar nichts passiert. Ich habe das Urbino-Geschirr zerteppert, ratzeputze, aber das war es auch, und kein Luftangriff. Wir haben es weggeworfen. Und ich habe mich ein bisschen in den Finger geschnitten.
Elisa starrte sie erschrocken und verständnislos an.
Frau Irma Szemző ihrerseits hatte das Gefühl, es sei doch an der Zeit, einzutreten und sich Elisa zu zeigen.
Manchmal sah man Elisas Gesicht an, dass sie nicht recht wusste, was sie mit dem Gehörten anfangen sollte, oder dass sie auch ganz einfache Dinge nur sehr langsam verarbeiten konnte, wenn überhaupt. Nach ihrer Hirnblutung hatten sich ihre Reflexe wieder fast völlig normalisiert, den Bewegungen folgte sie mit den Augen träge, aber genau, und offensichtlich begriff sie fast alles sofort. Auch ihr Gedächtnis funktionierte noch, man konnte sie jederzeit an vergangene Ereignisse erinnern. Ihr Gehirn hatte aber unheilbar geschädigte Teile. Mária wusste aus Erfahrung, dass es zwischen bestimmten Regionen keine sicheren Übergänge mehr gab oder der Kontakt gänzlich abgebrochen war. Wahrscheinlich konnte sie die in einem Zusammenhang stehenden Dinge je für sich bestimmen, das sah man ihrem Gesicht an, doch dann brachte sie den Zusammenhang nicht zustande. Es war interessant, ihr Mienenspiel zu beobachten, sie schien immer wieder neu
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