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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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anzusetzen; das war eher ein Suchen als ein Kampf. Sie schien zuweilen den fehlenden Kontakt auf anderen Wegen herstellen zu wollen, man sah ihren gespannten Zügen an, wie sie heftig Dinge umherschob, es mit Umwegen versuchte, und wie sie selbst auch nur hoffen konnte, ans Ziel zu gelangen. Etwas ist nicht da, etwas funktioniert nicht, das hingegen vermochte sie nicht bewusst zu reflektieren. Und wenn sie den Weg zwischen verschiedenen Dingen endgültig nicht fand, wurde sie ganz benommen. In solchen Fällen musste man ihr auf den Rücken klopfen oder ein paar sanfte Ohrfeigen geben. Dadurch war zwar die leidende Ruhe des Gesichts wiederhergestellt, aber sie hatte inzwischen auch völlig vergessen, was sie gewollt hatte.
    Und noch etwas anderes verschloss sich auf schwere, bedrohliche Art.
    Ein Leerraum in einem durchsichtigen Mechanismus.
    Die vergebliche Anstrengung erschöpfte und demotivierte sie, halbe oder ganze Tage lang saß sie mit erloschenem Blick.
    Irmas unerwartetes Erscheinen ließ sie zusammenzucken, sie gab ein tierisches Brüllen von sich, streckte beide Arme aus wie ein Kind, das sich der Mutter anbietet, umarme mich. Das aber wirkte, als wäre die Verbindung zwischen Schrecken und Freude lückenlos; die Übergangszeit zwischen den Emotionen war aufgehoben.
    Nicht weniger unerwartet wurde im selben Augenblick Irmas Aufmerksamkeit davon abgelenkt, dass Elisas riesiger, feuerroter, langhaariger Persianerkater von der geschwungenen Lehne der Liege auf den Boden sprang und sich, als drohe ihm Todesgefahr, auf seinen Flauschpfoten davonmachte, zwischen den Beinen der Möbel hindurchhuschend, bis zur offenen Terrassentür, wo er aus der Deckung des großen Eichenholztopfs eines bis zur Decke hinaufgewachsenen, vielfach verästelten Ficus noch leicht entsetzt und staunend zu Irma zurückblickte, bevor er draußen im Dunkeln verschwand.
    Bei solchen Gelegenheiten sprang er auf die Brüstung der Terrasse und von dort aufs Flachdach hinaus, wagte sich in fremde Lifthäuser, fremde Wohnungen hinein, gelangte durch ferne Treppenhäuser auf die Straße hinunter, zwischen Autos, Straßenbahnen, fremde Gerüche, Hunde, angepisste Bäume; er ging seine gefährlichen Wege, und sie hatten immer ein wenig Angst, er würde einmal nicht zurückkommen.
    Elisas Bewegung wurde dadurch besonders eindrücklich und rührend, dass sie ihren gelähmten Arm mit Hilfe des gesunden zur Umarmung hob.
    Auch ihre Stimmlage, ihre Mimik hatten sich völlig verändert.
    Sie sagt, ich habe dich schon lange nicht mehr gesehen, rief Mária über den Lärm hinweg, halb scherzhaft, halb verlegen. In Gesellschaft anderer Menschen interpretierte sie Elisas Gesten immer gleich. Sie tat es aus Zuvorkommenheit, damit sich Gäste oder ahnungslos in ihr Leben platzende Fremde nicht um eine Auslegung bemühen mussten. Aber das klang jeweils auch so, als würde sie nicht nur zuvorkommend für den Außenstehenden dolmetschen, sondern vielmehr mit Elisa in ihrer geheimsten Sprache etwas teilen. Elisa flehte, weinte gewissermaßen ihren einzigen verständlichen Satz,
I don’t know,
sang ihn Irma zu. Man konnte nicht einmal sicher sein, ob sie nicht tatsächlich den englischen Satz wiederholte, der also wirklich bedeutet hätte, was er bedeutet, oder ob im Gegenteil ihre gelähmten Stimmbänder nur mehr eine an den englischen Satz erinnernde Tonfolge zu bilden vermochten, was ein Werk des Zufalls ohne Bedeutung gewesen wäre.
    Wenn man sie fragte, lachte sie unwiderstehlich auf.
    I don’t know
, antwortete sie dann mit schräggelegtem Kopf, neckisch, als sei der Scherz beabsichtigt. Jetzt hingegen flehte sie erpresserisch und schamlos, wie eine aufgewühlte Bettlerin, und als Irma sie ergeben umarmte, klammerte sie sich an ihren Hals, küsste sie.
    Meine Liebe, Süße, flüsterte Irma gegen ihre Absicht höchst gefühlvoll, wobei sie einen Augenblick völlig aus dem Gleichgewicht geriet; sie musste doch an die Umarmungen ihrer Kinder denken, während ihr unter Elisas Gewicht die Knie einknickten.
    Sie sagt, du bist ein treuloses Schwein, dolmetschte Mária, was Elisa veranlasste, perlend und genüsslich in die Falten von Irmas magerem Hals hineinzulachen. Sie klammerte und krallte sich mit beiden Armen beharrlich fest, schon weil sie den gelähmten Arm selber um Irmas Hals festhalten musste. Als würde sie am liebsten an ihr hochklettern und sich um sie winden, bot sie sich mit ihrem ganzen mageren Körper, mit ihren leichten, leichtbeweglichen

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