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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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keinen Punkt hatten, wohin das Pulsieren der Stadt nicht drang. Er wusste nicht, wo er war, es interessierte ihn auch nicht. Er musste nicht befürchten, sich zu verirren. Oder dann verirrte er sich eben. Die Autostraßen verliefen einmal weiter weg, einmal näher, manchmal wurde ihre Nähe durch den Benzingestank angezeigt, der zwischen den Bäumen steckte.
    Hin und wieder sah er vereinzelte Menschen. Jemanden, der seinen Hund spazieren führte. Oder schlendernde Paare. Es fiel ihm auf, dass sich die Menschen in diesem Wald lange und neugierig musterten.
    So hatte ihn am Morgen auch der Hauswart gemustert.
    Sie wollten sehen, was er vorhatte, aber nicht nur das, und gar nicht misstrauisch. Er konnte nicht an ihnen vorbeifahren, ohne dass sie ihn angeschaut hätten. Mit Blicken voller Zuvorkommenheit, wie ein Vorschuss auf das erste gesprochene Wort.
    Man wandte sich sogar nach ihm um.
    Es stimmt, auch er wandte sich um, da er der auffordernden Kraft der Blicke nicht widerstehen konnte, er wartete darauf, angesprochen zu werden.
    Ob er wollte oder nicht, er musste sich umwenden, und jedes Mal war es peinlich, weil doch nichts geschah.
    Dann schien er aus dem Gebiet, wo noch Spaziergänger waren, heraus zu sein. In der Ferne ein einzelner Reiter, sonst begegnete er längere Zeit niemandem mehr. Er kam in einen dichten Tannenwald, der feuchte, nachgiebige, sandige Weg stieg allmählich tückisch an, es war schwer, ihn hochzuradeln. Unter den Tannen wurde es dunkel, die Sonne des späten Nachmittags stand nur noch knapp über dem Hügelrücken. Zwischen den bis weit hinauf kahlen, düsteren Stämmen herrschte eine dumpfe, dichte Stille, da und dort piepste oder rief ein einsamer Vogel. Das Radfahren wurde schwierig, die Steigung war von Pferdehufen aufgewühlt. In der trockenen, stickigen Luft lag angenehm der herbe Harzduft.
    Er hätte absteigen, das Rad schieben sollen, aber er gab nicht auf, lieber suchte er am Wegrand eine feste Unterlage für jeden Pedaltritt.
    Döhrings Familie stammte aus einem winzigen Städtchen des Niederrheinischen Tieflands. Auch dort überall Sand.
    Unweit der träge fließenden Niers, außerhalb des Städtchens, befand sich ihr alter Gutshof, wo sie die Sommer verbrachten. Seine Augen waren an Weiten gewöhnt, auf denen Sträucher, Baumgruppen und Wäldchen die Landschaft unterteilten. Alles war gleichmäßig flach. Zu Hause rochen zwar die Tannenwälder anders. Auf der endlosen Ebene gab es Senken, in denen sich das Regenwasser sammelte, auch Quellen sprudelten und zerflossen ins Nichts, je nach Jahreszeit stieg oder sank das Grundwasser.
    Sand gab es, Sand, in den Senken zu Moor werdend. Darüber eine dünne Sandschicht, die der Wind dorthin geweht und die sich verfestigt hatte, darauf dichte, lange Grasbüschel, als wollten sie einen irreführen.
    Bei weitem keine harmlose Gegend, man wusste nie, wohin man trat.
    In diesen morastigen Senken gediehen jene struppigen, windgezausten, nicht sehr hochwüchsigen Moortannen mit den eher gelblichen als grünen Nadeln. Döhring verglich unwillkürlich den Berliner Wald damit, mit dem Schauplatz seines kindlichen Umherstreifens, dem Schauplatz des Entsetzens.
    Das Moor duftete.
    Es fällt einem oft gerade das ein, wovon man sich eben losgerissen hat oder losreißen will.

Ein herrschaftliches Haus
    Viele Jahre zuvor, etwa neunzehnhunderteinundsechzig, in dem Jahr, als im fernen Pfeilen auch auf andere undurchsichtige Angelegenheiten ein Licht zu fallen begann, geriet in der ungarischen Hauptstadt der Nationalfeiertag gründlich daneben.
    Der Wetterbericht hatte für den folgenden Tag ausgesprochen heiteres, warmes und sonniges Frühlingswetter angekündigt. Bei solchen Anlässen konnte man aber nie sicher sein, woran man war, vor offiziellen Feiertagen wurden die Vorhersagen meistens frisiert. Mal lauteten sie auf besseres, mal auf schlechteres Wetter, als tatsächlich zu erwarten war, ganz selten blieben sie bei der Wahrheit oder schönten sie nur ein wenig. Es bestand zwar Hoffnung, dass es diesmal vielleicht nicht so sein würde, denn die vorangegangenen Tage waren wirklich überdurchschnittlich heiter und warm gewesen, aber ob nun die Behörden etwas im Voraus gewusst hatten oder nicht, schon am frühen Morgen des fünfzehnten März tobte ein stürmischer Nordwind über dem Land, eine Art dreitägiger Orkan, der besonders der Hauptstadt zusetzte. Die Fälschung wurde anhand der gesammelten Stimmungsberichte und Tageswünsche in der

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