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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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dreißig, die in einem der hofseitigen Zimmer kniete und sich mit dem Feuer abmühte, rührte sich ebenso wenig von der Stelle wie eine andere, um einige Jahre jüngere Frau, die in der dunklen Tiefe des Nebenzimmers zwischen zusammengeknüllten Decken in einem Doppelbett lag und sich, um nichts hören zu müssen, mit einem dünnen, dunkelhäutigen nackten Arm krampfhaft und verzweifelt das Kissen gegen den Kopf drückte. Sie war hier nicht besonders gern gesehen, daher ging sie eher nur im Notfall ans Telefon. Wie eine Unbefugte, wie ein Eindringling kam sie sich vor, und das zu Recht, dafür hielt man sie auch, und ihre Lage wurde immer prekärer.
    Es gab keinen Ort, wo sie hätte hingehen können, beziehungsweise sie fand nicht die Kraft, sich zum Unvermeidlichen zu entschließen.
    Die vor dem Ofen beschäftigte blasse Frau ihrerseits ging nicht nur deshalb nicht ans Telefon, weil das im Luftzug zu Flammen aufflackernde Kleinholz bei jedem Windstoß immer wieder erlosch, worauf der Kachelofen wuchtige Rauchwolken durch seine Klappe keuchte, sondern vor allem deshalb nicht, weil sie sich an die Regeln hielt. Wenn die Bewohner zu Hause waren, durfte sie unaufgefordert nicht einmal während des vormittäglichen Reinemachens in den vorderen Zimmern erscheinen. Und obwohl sie wusste, dass sich jetzt niemand im Salon aufhielt, ging sie nicht ans Telefon.
    Geht doch ihr ran, sagte sie sich, als antworte sie der aus dem Badezimmer rufenden Dame, und sie zuckte mit ihren schmalen Schultern.
    Sie war keine rebellische Natur, und mit dieser Stelle durfte sie durchaus zufrieden sein, aber hin und wieder übte sie doch stille Rache, und das mit Genuss. Eigentlich veranlasste sie die nachteilige Situation ihres kleinen Jungen dazu, und natürlich ein bisschen auch ihre Selbstachtung. Sie lebten in dem ewig dunklen Dienstbotenzimmer, und auf Verlangen der Hausherren musste sie dem Kind verbieten, die Küche zu verlassen. Das war die magische Grenze ihrer Bewegungsfreiheit, die Küche. Was der Junge natürlich begriffen hatte, aber wie sollte er es akzeptieren. Sie hingegen kam gegen die wütenden Grenzverletzungen des kleinen Jungen nicht an, und seine Rebellionen enthüllten auch immer wieder ihre eigene beflissene Unterwürfigkeit. Es war sehr schwer, für sie beide einen Platz zu finden, und in den schwierigen Momenten schien der Preis, den sie für ihre Sicherheit zahlten, zu hoch. Der knapp fünfjährige, überaus lebhafte, so wie sie zu Blässe neigende kleine Junge durfte nicht einmal im Entree genannten, von abgestandener Luft erfüllten halbdunklen Durchgang spielen, obwohl sich da außer zu den Mahlzeiten nie jemand aufhielt.
    Es wurden spitze Bemerkungen gemacht, man duldete es nicht. Seien Sie doch so gut, Ilona, und platzieren Sie das Kind wieder in der Küche, sagte dann jeweils die Gnädige mit unangenehmer Kopfstimme. Ich möchte nicht, dass er mir hier etwas kaputt macht.
    Das Entree war übrigens die einzige Räumlichkeit der Wohnung, die einiges von den veränderten Zeiten und der unangenehmen Enge der Verhältnisse verriet. Ursprünglich hatte es keine andere Funktion gehabt, als den Zugang zu den Nebenräumen zu gestatten, zu den beiden Schlafzimmern, zum Esszimmer und zur Küche, als eine Art Korridor, wenn auch um etliches geräumiger. Gemäß einer früheren Ordnung hatten hier die großen Wäscheschränke zu stehen, und hier wurde gebügelt. Seit einigen Jahren aber standen hier eine alte Kredenz ansehnlichen Ausmaßes und der dazugehörige große Esstisch samt strengen Stühlen. Nicht einmal versehentlich hätten sie gesagt, das sei jetzt das Esszimmer. Das hätten sie auch nicht gekonnt, Not und Zweckmäßigkeit machen das Leben ja nicht unbedingt freundlicher. Trotz Seidendraperien, trotz Milchglas ging das Fenster des Raums doch nur auf einen engen Lichthof, und wenn es auch immer geschlossen blieb, war die Luft hin und wieder von durchdringendem Kanalisationsgestank oder dem nicht weniger aufdringlichen Geruch fremder Küchen durchzogen; ganz zu schweigen von den peinlichen Geräuschen aus fremden Aborten und Badezimmern. Höchstens konnte man während des Essens so tun, als nähme man das alles nicht wahr, als würde man beispielsweise nicht hören, wie im ersten Stock jemand ächzte, presste und es knattern ließ, während man über kulturelle Themen plauderte und mit Genuss ein
à point
gebratenes
bifteck
verzehrte. Einmal, während die Familie gerade beim Abendessen saß, war es sogar

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