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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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schwefelgelb, violett und hauchdünn. Sie waren eine Entdeckung gewesen, eine Herausforderung, auch wenn er längere Zeit keine Ahnung haben konnte, was er entdeckt hatte, und noch weniger konnte er wissen, auf welche Art er damit sein Schicksal herausforderte.
    Kaum war er in der Großstadt angekommen, hatte sich irgendwie alles ganz natürlich ergeben.
    Zu Hause hätte er ein Leben lang vermeiden können, womit er hier täglich schonungslos konfrontiert wurde.
    Als er das erste Mal vom frühmorgendlichen Laufen zurückgekommen war, hatte gerade der Hauswart den Gehsteig vor dem Haus geschrubbt. Durch das Laub der Bäume fiel das spätsommerliche Sonnenlicht, die Luft aber war zu so früher Stunde noch eisig. Die Berliner Wohnung der Tante war in der Fasanenstraße, er musste nur bis zum Ende der Straße laufen, um zum Tiergarten zu gelangen.
    Er änderte seine Strecke nicht gern.
    Und diesem Hauswart, nach eigenen Angaben selber Student, Jurastudent, obwohl mindestens vierzig und mit zwei Kindern, gefiel es aus irgendeinem Grund, dass der neue Bewohner frühmorgens laufen ging.
    Er fragte ihn, warum er nicht Rad fahre.
    Hier fahren alle Rad, oder jedenfalls viele, erklärte er, zumindest fahren alle Rad, die den Autoverkehr prinzipiell ablehnen.
    Solche wie wir, fügte er mit einem kleinen Lachen hinzu und wartete, wie es schien, mit echter Neugier auf eine Antwort.
    Döhring stand keuchend vor ihm auf dem nassen Gehsteig, und als Provinzler mochte er ehrlich gesagt solche Aufforderungen nicht. Er verstand, dass der andere eine politische Stellungnahme von ihm wollte, aber gerade das passte ihm nicht.
    Aus dem Schlauch des Hauswarts strömte das Wasser.
    Der Schweiß auf seinen nackten Schultern wurde kalt in der frischen Luft, auf seinem Gesicht bildete er einen kühlen Film.
    Er sagte, er fahre gern Rad, habe sein Fahrrad aber nicht dabei, habe genau besehen gar nicht daran gedacht, dass er es mitbringen könnte.
    Offenbar benutzte der Hauswart alle Fragen, Antworten und Vorschläge gern als Vorwand, um ihn auszuquetschen.
    Er sagte, in der Garage stünden drei ganz gute Räder, die habe ein Vormieter hiergelassen, ein ungarischer Ingenieur.
    Döhring fragte, was für ein ungarischer Ingenieur, er verstand selbst nicht warum. Es überrasche ihn, dass jemand an seinem alten Wohnort gleich drei Fahrräder zurückließ.
    Der Hauswart signalisierte, dass auch er das seltsam fand. Er zog die Augenbrauen in die Höhe und schüttelte so heftig den Kopf, dass der Wasserstrahl in seiner Hand mitgeschüttelt wurde. Er sagte, er habe der Sache nachzugehen versucht, aber nichts herausgefunden, der Ungar habe keine Anschrift hinterlassen, er habe die Sache mit dem alten Hauswart besprochen, aber die Räder hätten nicht einmal ein Markenzeichen.
    Nur noch ihre Spuren auf den Rahmen seien vorhanden, aber zwei seien abgenommen, das dritte abgekratzt worden. Wenn er wolle, solle er sich doch eins nehmen, egal welches, jederzeit, es benutze sie sowieso niemand, höchstens hie und da seine Frau. Er könne sie ihm gleich zeigen, wenn er wolle.
    Aus reiner Höflichkeit ging Döhring mit ihm in die Garage hinunter, aber schon am selben Nachmittag nahm er sich tatsächlich eins der Räder des Ungarn, und zu seiner größten Überraschung musste er nicht lange radeln, bis er aus dem Dickicht der Stadt heraus war.
    An diesen Tagen gegen Ende des Sommers öffnet sich der Himmel über Berlin, als ginge ein erstes, nahes Himmelsgewölbe auf ein weiteres, entfernteres hin auf. Es kann noch so windstill oder noch so warm sein, es vibrieren immer wieder kühle Brisen, manchmal auch ein eisiger Hauch. Die Schatten an den Hausfassaden werden länger, die Straßenperspektiven tiefer. Die dunstigen Morgenfrühen sind kühl, kalt die sich mit Nebeln füllenden Nächte, und davon bleibt tagsüber etwas hängen.
    An solchen Tagen harren die Berliner bis zum letzten Augenblick an den sonnenbeschienenen Ufern der Seen aus.
    Nach einer Stunde wusste Döhring nicht mehr, wo er sich befand. Da war ein Waldgebiet. Er trat rasch in die Pedale, um die Kühle der Luft an seinem Körper zu spüren, obwohl er nichts Dringendes vorhatte.
    Von zu Hause war er förmlich geflohen, jetzt hatte er bis zum Semesterbeginn zehn Tage, um die Stadt kennenzulernen, wo er zum ersten Mal allein leben würde.
    Das gleichmäßige Rauschen der Schnellstraßen hatte er hinter sich gelassen, auch wenn diese streng unterteilten und offensichtlich unterhaltenen Waldabschnitte

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