Parallelgeschichten
mich hätte entschließen können, ihn in mein Zimmer an der Ringstraße mitzunehmen, wie hätte ich ihn an Balter vorbeischleusen sollen.
Der kam mit seiner verrenkten Hüfte immer laut ächzend gelaufen, um alles zu kontrollieren und hätte die Situation mit einem Blick erfasst, womit mein Schicksal besiegelt gewesen wäre. Auch meine Erziehung lieferte keine Hinweise, was man in solchen Fällen tut, hingegen durchaus die Anweisung, dass man ungewöhnlichen Situationen besser ausweichen soll. Und was seine Großmutter betraf, so fiel mir meine eigene ein, und mir wurde ganz seltsam zumute, ich erschauerte beim Gedanken, dass sich in einer Frühsommernacht zwei Menschen trafen, die außer ihrer Großmutter niemanden hatten, nie jemanden gehabt hatten und nie haben würden, und dass das kein Zufall war.
Dieser Gedanke war schmerzlich, er erfüllte mich auch mit quälender Hoffnung, aber das Schmerzliche war stärker.
Hier stand ein Mensch vor mir, mit seiner nicht abzuweisenden Wärme, seinem unverbrüchlichen Gleichmut, seinem aufdringlichen Geruch, seiner lebenden Großmutter, seinem offensichtlich ungewaschenen Haar und mit allem sonst, das zu ihm gehörte, so etwa das Unglaubliche, dass ich mit ihm tun durfte, was ich mit den Mädchen tat, was ich gar nicht verstand, weil es unverständlich war.
Das alles zusammengenommen war zu viel.
Ich hätte ihm etwas sagen wollen, etwas Aufmunterndes, etwas womit ich mich auch hätte zurückziehen können, aber mir fiel nichts ein. Nach den bürgerlichen Anstandsregeln hätte ich eine Antwort bereithaben müssen, um Herr der Lage zu bleiben. Ich empfand meine Erziehung wie ein nacktes Gerüst, das die Art angibt, in der von einer Sache die Rede sein soll, aber keinen Hinweis, was deren eigentlichen, wahren Inhalt betrifft. Meine tote Großmutter gab auch jetzt eifrig flüsternd Anweisungen, wie bis zu ihrem letzten Atemzug, sie hatte alles gegeben und alles Menschenmögliche getan, aber schon während sie etwas sagte, hatten ihre Worte keinen Sinn mehr. Nicht den geringsten, auch ihre eigene Tochter und ihr eigener Sohn hatten sie nicht ernst genommen; trotzdem war die Struktur ihrer Sprüche auf immer in mir verankert.
Ich setzte mich also auf der knirschenden Promenade in Bewegung, weil ich mit einem solchen fremden Leben nichts anzufangen wusste.
Mangels eines Besseren wieder in Richtung der Árpád-Brücke, als könnte man alles wieder von vorn beginnen. Was er natürlich im Sinn der Geheimsprache auslegte.
Wenn auch du nirgendhin kannst, sagte er trocken, während er eifrig neben mir hertrottete wie ein braves Kind, dann können wir ja zum Wasserturm hinauf, ehrlich, ich kenne dort ein hübsches Plätzchen.
Er wollte mich bei der Hand fassen.
Wenn er nirgendhin könne, weil keiner irgendeine verdammte Bude habe, sei man da bis zum frühen Morgen ganz gut aufgehoben.
So gern ich es gehabt hätte, ich ließ ihm meine Hand nicht. Da wollte er mich um die Taille umarmen, mich im Gehen umschlingen und meine zu langen Schritte bremsen, damit wir wie ein Liebespaar schlenderten und er mich küssen konnte.
Ich fand es widerlich, er himmelte mich mit geschürzten Lippen von unten an wie ein Filmstar einen anderen. Er tat es nicht nur, sondern übertrieb es auch gleich, als wollte er laut verkünden, ich mache das alles nach dem und dem Muster. Ich ließ nicht zu, dass er mir seinen Kopf an die Schulter legte und stieß auch seine Arme weg. Meine Unbarmherzigkeit tat mir selber weh. Ich mochte mir seine Künsteleien nicht anschauen. Er wollte schon im Voraus Emotionen von mir, bevor wir den bewussten Ort erreicht hatten, wo wir uns dann seinen Hoffnungen entsprechend austoben würden, ich hingegen setzte einfach einen Fuß vor den anderen, ich hatte genug von diesem ganzen Theater, genug von ihm, der ja nicht wissen konnte, dass ich mich nirgendhin mitnehmen ließ.
Er müsse um sechs Uhr in der Früh zurück sein, sein Urlaub gehe nur bis dann.
Was für ein Urlaub, fragte ich viel zu gereizt, verdammt noch mal, Urlaub wovon.
Er verstummte einen Augenblick und schaute mich ernst an, wie um herauszufinden, was ich denn nicht verstand oder weswegen ich mich so aufregte.
Wir haben doch hier angelegt, antwortete er dann und deutete mit dem Kopf in eine Richtung.
Er diene bei der Stromwache in Mohács, er habe sich freiwillig länger verpflichtet, und sie kämen einmal in der Woche mit den Schiffen herauf, manchmal sogar zweimal. Aber sie legen nicht im Újpester
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