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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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kleiner Mann zwischen die Klauen geraten war, gerade deswegen war ich ja für ihn voller Zärtlichkeit und Grobheit. Das Ganze war ziemlich unverständlich.
    Er überzog mich mit sich, er durfte so hirnverbrannten Unsinn reden, wie dass ich in ihm drin sein könnte, während ich mir fast gar nichts erlaubte.
    Als würde nur die eine Hälfte meines Ichs verstehen, was er redete, während die andere, zwischen Zweifeln hin und her gerissen, hilflos wurde.
    Es gab einen Menschen in der Nacht, den ich mitsamt seiner Torheit liebgewonnen hatte, was ihn noch wertvoller machte. Ich wollte ihn auch gleich beschützen, vielleicht vor seiner eigenen finsteren Dummheit, obwohl ich der Schwächere war. Ich erkannte mich nicht in ihm, aber mit einem Mal war ich in seine Leichtigkeit, seine Kühnheit, seine Offenheit verschossen, alles Eigenschaften, die ich nicht hatte und deshalb wohl begehrte. Es wäre großartig gewesen, mit solchen Eigenschaften zusammenzuleben. Ich beneidete ihn um seine furchtbare Freiheit, zu der ich keinen Mut hatte, oder kein Talent. Wenn wir wenigstens jeden Abend im Wasserturm ein sicheres kleines Versteck fänden.
    Ich wusste im Voraus, dass ich den stürmischen Vorgeschmack der Leidenschaft, wie ich ihn jetzt spürte und mir gleichzeitig versagte, lange nicht würde vergessen können.
    Am nächsten Tag würden dann nur Qualen und Mangel bleiben, Reue und Bitterkeit, die mich gründlich durchschütteln würden.
    Aber etwas trug mich weg, ich musste ihn abweisen, ihn von mir schälen.
    Pass mal auf, sagte ich, und da er in meiner Stimme wohl eine tiefe Zärtlichkeit fühlte, passte er auf, öffnete mir sein heiteres, unbesorgtes, kindliches und uraltes Wesen, da ist ein fatales Missverständnis zwischen uns, fuhr ich hartnäckig und nüchtern fort. Ich gehe jetzt, komm mir nicht nach. Belassen wir es dabei.
    Was denn, fragte er verblüfft, was für ein Missverständnis, rief er entsetzt und krallte sich an meinen Arm, ich spürte seine animalische Kraft. Du bist ja durchgeknallt, völlig plemplem. Wir hatten ja nicht mal Zeit, irgendwas falsch zu machen. Er sah mich an, aber ich antwortete nicht. Was habe ich falsch gemacht, flüsterte er außer sich, er hielt mein Schweigen nicht aus. Du denkst, du bist der Oberheini, rief er weinerlich. Ich hätte nie gedacht, dass einer so ein Scheißkerl sein kann.
    Mach’s jetzt nicht noch schlimmer, bat ich.
    Ich mache es schlimmer, das blöde Arschloch sagt, ich mache es schlimmer. Ich, ich.
    Wütend, beleidigt flammten seine Worte auf, leuchteten das Dunkel aus, er selbst eine Furie.
    Er hatte recht, das ließ sich nicht bestreiten.
    Ich hatte Angst, er würde mich schlagen, seine Wut behexte mich. Was mir unerwartet wieder bewusstmachte, dass dies nicht in meiner Phantasie stattfand, sondern wir uns an einem gefährlichen Ort befanden, und dass ich hier mit einem anderen Menschen nach Belieben umsprang.
    Ein paar wenige Schritte entfernt stand im Dickicht eine unglaubliche Gestalt, mit halb heruntergelassener Hose.
    Er belauerte uns, sprungbereit, wartete auf die erregende Fortsetzung, ein Parasit, ein Voyeur. Ich konnte nicht anders, ich musste ihn mir anschauen. Seine Arme waren wie Schinken, das kurzärmelige Hemd darübergespannt und im Übrigen bis zum Bauchnabel offen, darunter gedrungene, behaarte, fett und weißlich aus dem Dunkel leuchtende Wülste und Falten. Mit der einen Hand hielt er seine Hose an einem ungeheuren, schwabbeligen Oberschenkel fest, mit der anderen zupfte er unter dem prall und leuchtend aus den Fettschichten herausragenden Bauch an etwas herum, das man vor lauter Haaren und Häuten und Halbdunkel zum Glück nicht sehen konnte.
    Gleichzeitig erschien an der Einmündung des Pfads ein seltsames Paar unter dem vom Laternenlicht durchbrochenen Laub.
    Die beiden waren in einem aufgeregten, aber doch beherrschten Wortwechsel begriffen, man verstand nichts.
    Der eine war dem anderen offensichtlich lästig, er gehörte am ehesten zu den Stammeskriegern, und ich wusste sogar, dass er Robi Königer hieß. Er wohnte in der Eötvös-Straße, in dem Haus, in das wir uns retteten, als die Ringstraße brannte und wir im Keller endlich die Brandmauer durchbrochen hatten.
    Bei uns im Viertel spielte er meistens den Doofmann.
    Robilein hier, Robilein da, vielleicht war er ja tatsächlich ein bisschen zurückgeblieben. Tragen Sie mir doch meinen Korb, Robilein, seien Sie so lieb, Sie werden es nicht bereuen.
    Er entblößte sich nicht wie die anderen,

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