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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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im Gegenteil, er lief bis oben zugeknöpft umher, um seine Missbildung nicht zur Schau zu stellen.
    Er trug eine weiße Chirurgenhose und ein weißes Hemd, er arbeitete in einer Klinik an der Üllői-Straße als Krankentransporteur. Wenn er kein Geld hatte, und jeder in unserer Gegend meinte zu wissen, wofür er sein Gehalt ausgab, ging er zum Markt auf dem Hunyadi-Platz und trug den Hausfrauen die an den Füßen zusammengebundenen lebenden Hühner, die Einmachtomaten und die Kartoffelsäcke nach Hause.
    Seine Haut war bestimmt an sich schon bläulich weiß, die kleinste Ader sichtbar, aber aus einem unerfindlichen Grund, vielleicht wegen einer Narbe, puderte er sich das Gesicht noch extra leuchtend weiß. Verstörtheit saß auf diesem merkwürdigen, unbewegten Gesicht. So ging er durch die Straßen, weiß, verstört, im Winter in einer schwarzen Pelerine. Als Kind hatte ich Angst vor ihm gehabt, denn wenn er die mit den Flügeln schlagenden, je zu zweit zusammengebundenen Hühner trug, hallte die Szófia-Straße von ihrem entsetzten Gackern wider, und ich musste denken, auch ich würde wegen meiner heimlichen Sünden wie er. Er war groß, sein Rücken hatte sich vom vielen beflissenen Bücken ungelenk und bucklig vorgekrümmt, es sah aus, als trete er dauernd durch zu niedrige Türen. Durch Türen, die mit bloßem Auge nicht erkennbar sind. Wer sich viel berührt, der bekommt einen solchen Rücken, die viele sündige Lust geht ins Rückenmark. Zu allen, mit denen er sprach, musste er sich herunterbeugen. Jede Kleidung war ihm zu kurz, unter seiner Hose waren die Knöchel sichtbar, an denen er mal rote, mal hellblaue Socken trug, nur ganz selten weiße, aus seinem Hemd ragte nicht nur sein knochiges Handgelenk heraus, sondern auch ein gutes Stück von seinem haarlosen hellen Unterarm.
    Der ganze Mensch war so dürr, als hätte er überhaupt kein Fleisch an den Knochen, oder als wären sein Knochen aus Glas.
    Der andere kam auf dem Pfad rascher entgegen.
    Königer folgte ihm gebannt und aufgeregt, es war zu hören, dass das Lied ihrer Gereiztheit kein Ende fand. Dieser andere trug kurze Hosen und aus wenigen Riemen bestehende Sandalen an den unanständig nackten kräftigen Füßen.
    Während sie über den immer dunkleren Pfad näher kamen, wurde nicht klar, wer dem anderen Wichtigeres zu sagen hatte, das heißt, wer den anderen mehr verachtete und sich also in seiner Gereiztheit mehr beherrschen musste.
    Aber mir reichte es.
    Als ich sie so rasch näher kommen sah, verlor ich meine Selbstbeherrschung und dachte nur noch eines, bloß weg hier.
    Ich stürzte mich ins Dickicht, schaute gar nicht, wohin, worauf ich trete, gegen was ich stoße.
    Zweige mit ihren metallisch riechenden Blüten schlugen mir ins Gesicht, ich lief gegen Stämme, schürfte mich auf, unter meinen Sohlen ein Krachen und Knacken, und hinter mir die Rufe des Matrosen.
    Kotzbrocken, verdammter, rief er in die weichduftende stumme Nacht, und fügte noch klagender hinzu, blödes kleines Arschloch.
    Ein riesengroßer, blöder Kotzbrocken bist du.
    Ich musste nicht lange rennen, bis ich unter den Bäumen heraus war, lief aber einfach immer weiter, dröhnte über die nackte Erde, knallte und knirschte in meinen feinen, spitzen, schmutzigen schwarzen Schuhen über asphaltierte und kiesbestreute Wege.
    Der Matrose hatte nicht einfach nur Unsinn geredet.
    Der Junge aus Újpest, der sich als Platzhirsch vorkam, war kein anderer, kein beliebiger, kein unbekannter Újpester, der nur zufällig Pisti hieß.
    Ich fühlte einen Dolchstoß in der Seele.
    Von weiß nicht wem.
    Ich hatte ja mit eigenen Augen sehen können, dass das wirklich der Pisti war. Der scharfe Schmerz und das verletzende Licht dieser unerwarteten Erkenntnis beleuchteten wenigstens nachträglich vieles von dem, was gerade geschehen war und was ich früher nicht verstanden hatte.
    Ich hatte vom Laufen Seitenstechen, auf eine regelmäßige Atmung achtete ich schon gar nicht, aber ich lief weiter, das war wenigstens vertraut und tat gut.
    Dann klappte ich zusammen und stolperte über etwas, oder umgekehrt. Ich wusste nicht, wo ich war. Das Gras war taunass, ich begrub mein Gesicht darin.
    Spürte auch, dass mir etwas zu Warmes übers Bein lief.

Jene zwei
    Auf dem Bett des Dienstmädchenzimmers in der Pozsonyi-Straße erinnerte sich keiner von beiden, wie sie eingeschlafen waren, oder was zuvor zwischen ihnen geschehen war.
    Und wieso sie in der unbekannten Nacht eigentlich erwacht waren, in der

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