Parallelgeschichten
des Betrachters die Wände, ohne je wieder an ihren Ort zurückzukehren. Alles war in dauernder Bewegung.
Eine Analyse ist eine lange, zeitaufwendige Angelegenheit, und so müssen Patient wie Therapeut in jedem Sinn des Wortes in eine Art Ewigkeit übertreten. Im Voraus lässt sich ja nur festlegen, dass man diesen speziellen Dialogritus wöchentlich wiederholen wird, während das Ende des Dialogs nicht absehbar ist. Man betritt eine Burg, die keinen Ausgang hat. Wer hier einmal eintrat, bekam vom Gleichen ein immer anderes Bild. Während sich sein inneres Raumgefühl dank der Analyse immer stärker weitete, und auch wenn er von sich selbst noch nicht viel sah, erhielt er von seiner konkreten Umgebung ein überraschend bewegliches Bild.
Als wäre es nicht ein und dieselbe Umgebung, sondern drei, vier, zahllose verschiedene.
Obwohl man jede Woche am gleichen Tag zur gleichen Stunde kommt.
Frau Szemző entdeckte begeistert, dass sie während der Arbeit in ihrem Benehmen und ihrer Tonlage unwillkürlich den Vorgängen von Licht und Schatten folgte. Diese Aufmerksamkeit riss sie aus ihrer gewohnten Routine heraus. Aus dem Licht wurde ein Ereignis, das das Verhältnis von innerem und äußerem Geschehen, die Intensität des Bezugs zur gegenwärtigen und vergangenen Biographie nicht unberührt ließ; Frau Szemzős Arbeit wurde um wesentliche Akzente bereichert, modifiziert, zuweilen vielleicht sogar gelenkt.
Madzar veränderte bis zu einem gewissen Grad auch die Innenhöhe.
Auch das ist zwar Manipulation, erklärte er ihr später, ich mache da eine durchaus fragwürdige Geste, aber so kann ich es nicht lassen.
Er hob die Schwellen an und deckte das Parkett mit mattglänzendem, grauem, dickem Linoleum.
Ich könnte das Parkett auch herausnehmen, sagte er, tue es aber nicht, weil es sehr anständig verlegt ist. Lieber decke ich es ab. Damit dämpfe ich die kalte Ausstrahlung des Baus, zeige, wie niedrig die Räume sind, unterlege dieses unangenehme Schwebegefühl mit einer Erklärung, der Schritt wird weich und sicher, ich dämpfe die Geräusche, verringere den Lärm. Und auch die Lichter werden dadurch gedämpft. Wie gesagt, es sind leere Manipulationen, ich würde jeden anderen verachten, der so etwas täte. Eine Imitation, kein Deut besser als der Illusionismus unserer Großväter.
Guck mal, Kleiner, da rennt das Häschen.
Sie lachten genussvoll auf, als würden sie sich an einem sonst unerreichbaren Feind rächen.
Die hatten alles verpfuscht, würden am liebsten die ganze weite Welt verpfuschen, sie aber hatten jetzt diese ganze dilettantische Bande in die Tasche gesteckt.
Es reißt alles auf
Als das Kaffeehaus in den ersten Januartagen geöffnet wurde, stand auf den Regalen nur wenig. Die Ware lag in großen Pappschachteln hinter dem Ladenpult, man packte aus. Alles war neu, sauber, glänzend und wohlriechend.
Draußen fiel seit Tagen leise der Schnee. An der Decke und in den Spiegeln reflektierte sich zusammen mit dem vielen Weiß das gelbliche Licht der indirekten Beleuchtung.
Die junge Frau stand oben auf der Leiter, die ältere Frau, die Ärmel ihres weißen Kittels bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, reichte ihr die Flaschen.
Ich nahm es eher nur mit den Augen zur Kenntnis, dass diese ältere Frau zu den Menschen mit einer Markierung gehörte. Unter der Innenbeuge ihres Arms die mit blauer Tinte tätowierte Zahl. Zuerst ein Buchstabe, dann ein Strich, eine Art Gedankenstrich, und dann die eigentliche Zahl, ungefähr sechsstellig. Sonst sah man solche Zahlen nur, wenn die Männer kurzärmelige Hemden, die Frauen ärmellose Sommerkleider trugen. Der nackte Arm eines unbekannten Menschen streckte sich in der Straßenbahn nach oben, die Hand ergriff die Lederschlaufe, und man konnte sein Schicksal sehen.
Und nicht genug, dass so etwas mit ihm geschehen war, sein Leben war mit einem Mal öffentlich, allen ausgeliefert. Es gab Leute, die sich die Zahl wegoperieren ließen, dann aber wurde die schrumpelige oder glänzende Narbe zum Signal.
Die Straßenbahn fuhr dahin, der kühlende Fahrtwind wehte herein, und wer es bemerkt hatte, falls überhaupt, zog es vor, durchs offene Fenster auf die sonnendurchglühte Straße hinauszuschauen. Später starben die Kriegsversehrten weg, verschwanden allmählich aus der Stadt, und irgendwann, ich weiß gar nicht wann, gab es in den Straßenbahnen den für sie reservierten Platz nicht mehr, aber damals waren noch viele von ihnen da.
Den einen fehlte ein Arm, anderen
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