Parallelgeschichten
zu leisten. Doch der Torso verlangte nichts mehr und nichts anderes, und während er zwischen den Fußgängern auf dem glatten Asphalt des Gehsteigs weiterrollte, blieben die Männer beschämt und unbefriedigt zurück.
Ich weiß nicht, wohin er ging, das heißt, eine Zeitlang beobachtete ich ihn aus der Entfernung und folgte ihm ein Wegstück lang.
Oder da war die Brandwunde auf zwei Beinen. Den feinen Kleidern, den anmutigen Gebärden, der gewählten Ausdrucksweise nach zu schließen eine jüngere Dame. Unter ihrem riesigen Hut ringelte sich keine Locke, kein einziges Haar hervor. Die tief heruntergezogene Krempe verdeckte die Stirn fast, hielt die Stelle ihres Gesichts im Schatten. An der Stirn eine unwahrscheinliche Einbuchtung. Als wäre der Übergang zwischen Schädelknochen und Stirnknochen eingebrochen, unter irgendeiner Einwirkung, auch wenn man keinerlei Spuren einer Verletzung sah. Nirgends sonst heile Haut, nur an dieser eingebrochenen Stirn.
An ihrem Gesicht Narben, Schnitte, grob geschwollene Nähte. Keine Nase, keine Lippen, nur ein Spalt und zwei dunkle Löcher am Nasenansatz. Sie trug hochgeschlossene Kleider, meistens aus dunkler Seide, den Hals ließ sie unter Seidenfoulards verschwinden, und wenn die sich etwas lockerten, sah man, dass auch ihr Hals verbrannt war. Wahrscheinlich ihr ganzer Körper. An den Händen trug sie Wildlederhandschuhe, an den Beinen dicke, undurchsichtige Strümpfe. Ihr Atem ging pfeifend, sie sprach aus dem Mundwinkel und aus der Kehle, es war nichts mehr da, um den Wörtern ihre abgerundete Form zu geben. Es waren auch gar keine richtigen Wörter, man ahnte eher nur aufgrund des Redetakts, was sie sagen wollte. Wenn wir irgendwo zusammen anstehen mussten, tat ich, als hätte ich anderswo dringend etwas zu erledigen. Aus der Nähe ertrug ich dieses breiige Pfeifen nicht.
Als würde mir von seinem Druck das Trommelfell platzen, obwohl mir doch das Herz brach, aber das durfte ich mir nicht eingestehen, was soll man denn mit fremdem Schmerz anfangen.
Andere waren ihr gegenüber vielleicht gleichgültiger oder geduldiger, und sie war diese neutrale Nachsicht sicher gewöhnt.
Aber auch das hätte man nur feststellen können, wenn sie ein Gesicht gehabt hätte, das irgendetwas verriet.
Im Übrigen hatte sie den Befehlston der Ringstraßen-Damen, die zum Einkaufen die Bedienstete mitnehmen.
Haben Sie noch Roquefort? Nein, na, dann geben Sie mir vom Aufschnitt, aber dünn geschnitten, wenn ich bitten darf.
Nein, nicht von dem, der sieht mir abgestanden aus. Ja, von dem da, dem frischen, sehr freundlich, danke. Und bitte nicht mehr als hundertfünfzig Gramm.
Zum letzten Mal sah ich sie, als das Brot ausging.
Man konnte nicht in den Laden hinein, verkauft wurde von einem Tisch in der offenen Tür.
Das Ausgehverbot dauerte bis morgens um acht, aber wenn man sich nicht in der Morgenfrühe anstellte, bekam man kein Brot. Die Schlange auf dem Gehsteig zog sich lang hin.
Im Radio hieß es ständig, die kämpfenden Parteien hätten sich jetzt wirklich und endgültig auf den Waffenstillstand geeinigt, aber wenn die Schießerei hier aufhörte, fing sie anderswo wieder an. Und wurde dann doch überall wieder fortgesetzt. Das ging schon drei Tage so, und nur wenige hatten zu Hause einen Lebensmittelvorrat.
Etwas fehlte immer, deshalb waren alle irgendwohin unterwegs in der Stadt, als wäre es das Wichtigste, Dinge des täglichen Gebrauchs zu erwerben und Vorräte zu sichern. Das Anhäufen von Vorräten schien wichtiger als das eigene Leben.
Vom Tisch in der offenen Tür des Ladens brüllte der Geschäftsleiter ins dunstige Dunkel hinaus, das Brot sei ausgegangen und es werde ihm auch keins mehr geliefert, die Bäckerei in der Király-Straße arbeite heute auf Anweisung der Regierung für die Krankenhäuser. Einige brüllten zurück, das hätte er auch früher sagen können, statt sie da warten zu lassen. Wer auf Zucker, Grieß, Mehl und Öl wartet, kann bleiben, brüllte der Geschäftsleiter. Was anderes gibt’s nicht. Auch kein Salz. Man solle ihn nicht immer das Gleiche fragen, er habe auch keine Hefe und keine Streichhölzer. Bei Glázner würden sie angeblich den ganzen Tag backen, dort kriege jeder etwas.
Die Reihe lichtete sich sofort.
Sogar da sah ich die verbrannte Frau. Sie trug einen kurzen Persianermantel, Hosen, Stiefel und redete auf einen älteren Mann ein. Man machte sich zu Glázner auf, an der Szent-István-Ringstraße.
In jenen Tagen kamen derartige
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