Parallelgeschichten
nicht, ja, es ist geradezu verboten.
Genau das habe er verstanden, erwiderte der Mann dankbar. Ihr Realitätssinn funktioniert bestimmt besser als meiner, das heißt, ich hetze immer noch Idealen hinterher, die mich von der Realität ein wenig abschirmen, während Sie nicht anders können, als sich damit auseinanderzusetzen. Das ist ein echter Unterschied. Aber vielleicht gibt mir mein Beruf diese Freiheit. Auch darüber denke ich nach. Ob ich dort einfach mit meinen Ideen auftauchen kann. Vielleicht wende ich mich zu rasch von etwas ab, oder wende etwas sogleich den Rücken zu.
Vielleicht, sagte die Frau.
Die Frage hat mich den ganzen Nachmittag sehr beschäftigt, sagte der Mann, was offensichtlich nur zur Hälfte stimmte.
Bisher hatten sie reglos dagestanden und durch die offene Tür von einem widerhallenden Zimmer ins andere hinübergesprochen. Madzar beobachtete sogar, dass das Licht in der Wohnung auch in der Dämmerung etwas Unwahrscheinliches hatte, und so sagte er nicht, welche theoretische Frage ihn am Nachmittag beschäftigt hatte. Das Licht fesselte seine Aufmerksamkeit völlig. Als glitte seine plötzliche Leidenschaft für diese Frau in ein leidenschaftliches berufliches Interesse für die Beleuchtung hinüber. Der rötliche, perlmutt schimmernde Himmel; während unten über der gelblich leuchtenden Straße zwischen dem lockeren grünen Laub schon die gelben Lampen brannten.
Dann wäre es wohl richtiger, wenn ich Sie jetzt allein lasse, sagte die Frau.
Der Mann sagte nichts, um nicht peinlich aufzustöhnen.
Er hätte von sich anderes erwartet als das, was geschah.
Dass er statt des Körpers wieder die Arbeit wählen würde.
Die Frau hingegen wurde erschrocken gewahr, dass es gar nicht so leicht war, den Entschluss auszuführen. Der Weg aus dieser leeren Wohnung, die ja schließlich ihr Eigentum war, schien nur über den Körper des Mannes zu führen.
Warum müsste sie sich da losreißen.
Während sie seinen anziehenden Körper ansah und den Ausgang suchte, ertappte sie sich, wie sie wiederholte, mein Eigentum, mein Eigentum. Sie war in die Falle geraten, kam sich lächerlich vor.
Nein, da war nirgends ein Ausgang, und sie durfte sich nicht verspäten. Durfte ihren Söhnen nicht den Vater wegnehmen, der sie im Übrigen auf Schritt und Tritt betrog.
Jetzt verstand sie zum ersten Mal, was es war, dem ihr Mann nicht widerstehen konnte.
Etwas Vielfältiges, kaum zu Ertragendes. Widerstand dagegen kann man von niemandem erwarten.
Der Mann hingegen war von dem vielsprachigen, stummen Dialog, in dem sich diese füreinander fremden Sprachen und das verstockte, disziplinierte Schweigen weder trennen noch ineinander übersetzen ließen, so benommen, dass er sich nicht von der Stelle rühren konnte.
Und auch nichts sagen.
Er war in die jungenhafte Angst zurückgefallen, einer Frau nichts Vernünftiges geben oder sagen zu können.
Frau Szemző hatte einen rettenden Einfall.
Der Architekt sollte ihr das Eigentum wegnehmen, nur so könnte er damit arbeiten. Es war, als würden sie sich die Kleidung wegnehmen.
Und da verweilte sie nicht mehr länger, denn die Erkenntnis brachte auch gleich den Rhythmus der erforderlichen Handlung hervor. Im Hinausgehen blieb sie einen kurzen Augenblick neben ihm stehen, und was sie sonst unter gar keinen Umständen getan hätte, sie ließ ihre behandschuhte Hand auf seinen Arm fallen und drückte ihn leicht. Womit sie sich ihm anheimstellte. Ihm ihr Eigentum übergab, während durch Handschuh und Mantel hindurch das Gefühl seines starken Arms zu ihr durchdrang, aber auch ihren irrealen Phantasien ein Ende setzte. Natürlich tat sie sich deswegen auch ein wenig leid.
Sie eilte ohne ein Wort des Abschieds durch die offene Tür der Wohnung.
Madzar rührte sich noch eine ganze Weile nicht von der Stelle. Ihr Fehlen nahm ihm den Atem. Wie jemand, der vor Zahnschmerzen taub geworden ist.
Er nahm den leeren Raum in sich auf, der ihn bisher so befremdet hatte. Zuerst nur im Sinn einer Ersatzhandlung, um das plötzliche Weggehen der Frau nicht als Niederlage und Demütigung zu empfinden, sein Blick tastete hilflos die Lichtverhältnisse ab, dann versank er in ihnen und maß und prüfte, alles andere vergessend.
Obwohl es inzwischen ganz dunkel geworden war.
Das verrückte Gelb der Straße war aber noch da, verwandelte die Laubschatten.
Tagsüber gab es abgesehen vom direkten Licht noch zwei indirekte Lichtquellen. Das Haus stand in der Pozsonyi-Straße der
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