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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Palatinus-Passage gegenüber, durch die man auf die Donau hinaussah. Der leichtbewegliche Widerschein des Wassers schwebte ständig an den Zimmerdecken, die gleichzeitig stark verfärbt und durchdrungen waren von den gewichtigeren Lichtmassen, wie sie die nach finnischem Muster gebauten riesigen, komplizierten, zum Teil blechgedeckten Dächer zurückwarfen.
    Das funktionierte in Mondnächten natürlich anders.
    In der Dämmerung kam zu diesem Widerschein noch ein drittes indirektes Licht hinzu. Die auf der Höhe des zweiten Stocks, über der mit knallgelbem Klinker ausgelegten Fahrbahn, an Drähten sacht schaukelnden gelben Lampen und die grünen Reflexe des eben aufbrechenden Laubs. Das alles ändert sich mit der Tages- und Jahreszeit. Auch nachts gab es keinen Augenblick, in dem hier oben kein Licht gespielt hätte. Er hätte die veränderlichen Elemente der Umgebung in eine feste Materie verwandeln müssen, um sie zu fixieren, ihre Wirkung festzuhalten.
    Die Frau hatte er vergessen.
    Höchstens, dass die Spitze seiner Vorhaut wegen jenes ersten kleinen Spermatropfens mit der Unterhose verklebt war, an der er jetzt unwillkürlich zerrte.
    Sie hatten sich ja schon darauf geeinigt, dass eine psychoanalytische Praxis aus dem obligaten Dämmer herauszuholen sei.
    Die unmittelbaren Lichter dämpfen, aber die Außenwelt in keinem Fall ausschließen, sie vielmehr hereinholen, den Rhythmus der dauernden Veränderung vermitteln.
    Für die inneren Fensterflügel entwarf er ein großflächiges, rechtwinkliges Netz, die dadurch entstehenden Vierecke ließ er opak einätzen und mit dem feinsten Sand blasen, um das Opake zu verdichten, während er mit den Scheiben der äußeren Fenster umgekehrt verfuhr. Hier blieben die Vierecke durchsichtig, und die Netzlinien wurden opak eingeätzt. Die beiden Netze waren nicht deckungsgleich, sondern horizontal und vertikal gegeneinander verschoben. Das ergab zwei wichtige Effekte. Man sah nicht zu den Fenstern hinaus, aber wenn man an ihnen vorbeiging oder sich auch nur bewegte, sah man durch die verschobenen Vierecke des äußeren Netzes doch etwas, wenn auch nur sich immer wieder öffnende Spalten, blaue, graue, bewölkte, in einem unerwarteten Aufblitzen, das Aufblitzen der unfassbaren Außenwelt. Die Netzlinien an der äußeren Fensterscheibe leiteten hingegen das direkte Licht als Schatten weiter, füllten den Raum zwischen den Fensterscheiben gewissermaßen mit sich selbst auf, und das mit dem Himmelswiderschein gefüllte Schattennetz setzte das Spiel auf den weitgehend nackt belassenen Wänden fort.
    Er ließ die Wände leer, aber nicht glatt, sondern gespritzt, was ihnen eine unregelmäßige Struktur verlieh.
    Möbel platzierte er in den Räumen nur wenige.
    Den Raum selbst öffnete er vom Hof her dem Licht, es sollte hereinkommen und den toten, skandalös schlecht proportionierten Flur durchziehen. Zu diesem Zweck entfernte er die primitiven Türen von Küche und Dienstbotenzimmer und entwarf an ihrer Stelle in Kassetten eingeteilte opalisierte Glasschiebetüren. An dieser Verglasung wiederholte er das Netzmotiv nicht, das an den Doppelfenstern der hinteren Zimmer, des Dienstbotenzimmers und der Küche starke Schattenspiele bildete und sich an den Wänden vervielfachte und dehnte, aber mit einem dünnen, angedeuteten Rahmen signalisierte er dennoch die Absicht. Als würde er sagen, man kann nicht ohne weiteres überall hereinsehen und hinausschauen, aber unter gewissen Bedingungen ist der Raum doch nicht verborgen. Es gibt sichtbare Rahmen, Spalten, Kreuzungen, Streifen, Knotenpunkte, und vielleicht ist da auch eine erkennbare Struktur.
    Die Schiebetür der Küche war meistens geschlossen, im Dienstbotenzimmer stand sie hingegen immer offen, hier befand sich das Archiv der Praxis, und hier saß auch die Assistentin, die die Patienten empfing.
    Alle Möbel stellte er aus ungefärbtem Schwemmholz her.
    In den Vormittagsstunden kam Licht vom Hof, in den Nachmittagsstunden von der Straße, und ob die kassettierten Schiebetüren offen standen oder nicht, die vielfach vermischten Lichter rückten zu jeder Stunde des Tags und zu jeder Minute jeder Stunde die Wohnung von ihrem Ort, veränderten ihre Proportionen.
    Die Hofseite ging nach Osten, die Straßenfront nach Westen, die Wohnung lebte vom frühen Morgen bis zum späten Abend in der Lichtspannung der entgegengesetzten Himmelsrichtungen. Wenn Wolken rasch vorüberzogen, es hell und wieder dunkel wurde, verrückten sich vor den Augen

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