Parallelgeschichten
doch die Erschütterungen der vergangenen Jahrzehnte beinahe unversehrt überstanden. Das hatte es nicht nur dem Glück zu verdanken. Schon zu seiner Zeit war es das vielleicht am wenigsten augenfällige Gebäude der Umgebung gewesen. Es war als Mietshaus gedacht, so wie alle seine sich spreizenden Nachbarn, doch mit seinen bescheidenen Ausmaßen erinnerte es eher an eine Stadtvilla. In der ganzen Theresienstadt gab es keinen massiveren Bau. Volltreffer hatte es zum Glück keine bekommen, und da der diskrete Schmuck an seiner puritanischen Fassade ebenfalls aus edlem Material bestand, hatten ihm auch die Druckwellen nichts anhaben können. Das Haus war von einem friedlosen, unverträglichen Menschen gebaut worden, auch er vom Land, oder zumindest jemand, dessen Kopf nicht nach städtischem Maßstab funktionierte. Und so stach sein Bau von den anderen ab, was ihm eher zum Vorteil gereichte. Kenner ordneten das fast schmucklose Gebäude zwischen Klassizismus und Eklektizismus ein, womit es ein in der Budapester Architektur fehlendes und höchst wichtiges Kettenglied darstellte, auch wenn sein Architekt später aufgrund der unglücklichen Umstände kaum mehr selbständige Bauten schuf, ein Mangel, der das Stadtbild bis zum heutigen Tag prägt.
Von einem solchen Menschen pflegt man zu sagen, er habe einen schlechten Charakter, obwohl es nicht wenige Dinge gab, in denen sich seine Fähigkeiten als hervorragend erwiesen. Vielleicht hatte er nicht entscheiden können, ob er kämpfen, abseits stehen oder sich im Gegenteil jeder gewöhnlichen, dummen Norm anpassen sollte. Eigentlich lag er sein ganzes langes Leben lang mit sich selbst im Kampf, aber doch immer mittels äußerer Gegenstände, die das rohe Aufbegehren seines wahnsinnigen Egoismus wohltätig verhüllten. Zuweilen war er ganz nachgiebig, schien völlig selbstlos, ja, manchmal sogar widerlich unterwürfig, dann wieder spielte er den selbständigen, eigenwilligen großen Herrn. Samu Demén hieß er.
Das Licht der Welt hatte er einige Jahre nach der Niederschlagung des Freiheitskampfes als der einzige Sohn eines vermögenden jüdischen Getreidehändlers in Jászberény erblickt, und er hatte als außergewöhnlich intelligentes Kind gegolten. Nach sechs Schwestern war er der Jüngste; bei ihnen lebten auch die Großmutter väterlicherseits und zwei Tanten mütterlicherseits, sozusagen arme Verwandte, man kann sich vorstellen, wie verwöhnt er unter allen diesen Frauen aufwuchs. Und da haben wir die zum engeren Familienkreis gehörenden Dienstmädchen und Frauen sowie Mademoiselle Le Vau und Fräulein Papanek, die französische und die deutsche Gouvernante, noch gar nicht erwähnt. Die finanzielle Situation der Familie war gesichert, ihr Ansehen immer gefestigter, obwohl Jászberény jüdische Zuwanderer beharrlich und ziemlich erfolgreich fernhielt. Als der Junge herangewachsen und die Mädchen größtenteils auswärts verheiratet waren, hatte ihr Vater, die Möglichkeiten eines neuen Gesetzes nutzend, ein großes Gut gepachtet, das er mit strenger, aber auch glücklicher Hand führte. Damit zog er sich den Zorn und den Neid vieler im Städtchen zu, andere hingegen sahen den Nutzen des allgemeinen Aufschwungs, auch wenn sie sich nur schlecht damit abfinden konnten, dass von nun an sogar der Boden dem Juden gehören sollte.
Der Junge jedenfalls wählte seinen Lebensweg ohne jede Einschränkung oder äußeren Zwang, seinen eigenen seltsamen Träumereien nachhängend. Er studierte Architektur, zuerst in Berlin, dann in Wien, reiste während mehrerer Monate in Griechenland umher und verbrachte ein volles Jahr auf Studienreise in Italien. Der Logik seiner Studien gemäß hätte er von dort nach England weiterreisen sollen, da er aber keine einzige Fremdsprache anständig beherrschte und ihn dieser Mangel ständig unsicher und verlegen machte, schrieb er sich für die letzten zwei Studienjahre an der Budapester Technischen Hochschule ein, wo er bei dem damals schon hochrenommierten und großmächtigen Alajos Hauszmann abschloss. Der Professor schätzte ihn, und man kann auch nicht sagen, dass er den auffällig gut präsentierenden jungen Mann nicht gefördert hätte, trotzdem gehörte er nicht zum Kreis seiner Lieblingsstudenten, denn die bissen ihn weg, allen Bemühungen des Professors zum Trotz. Sein Benehmen war unerträglich, zumindest waren seine Sentimentalität und Gefühlsintensität für die anderen ungewohnt, wie auch sein breiter, unvermeidlicher Dialekt,
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