Parallelgeschichten
dessen Einrichtung eine fast düstere Würde ausstrahlte, glänzten die Wandleuchter mit einem glasigen Licht, über die niedrige Kassettendecke glitt gegen die Fahrtrichtung der lebhafte Widerschein des Wassers. Beinahe verstand er etwas, erahnte den Zusammenhang zwischen der Natur dieser Reflexe und der Anziehung, die er verspürte.
Frau Szemző gefiel ihm überhaupt nicht. Dass diese Frau irgendjemandes Fall sein könnte, vermochte er sich nicht einmal vorzustellen. Und doch konnte er sich nicht gegen diese unwiderstehliche Anziehung wehren; er hatte auch schon versucht, von Doktor Szemzős Gesicht abzulesen, ob der etwas Ähnliches spürte, oder was er sonst für diese Frau empfand. Sie musste eine Menge Geld haben. Ein beträchtliches Erbe. Vielleicht hatte er sie wegen des Geldes geheiratet. Auf diese Art hatten ihn auch die Lichter überzeugt, der vielfache Widerschein, den der gelbe Klinkerbelag der Pozsonyi-Straße zusammen mit der Donau und mit Eliel Saarinens an spitze Hauben erinnernden Blechkuppeln an der leeren Decke der Wohnung im sechsten Stock hervorbrachte, obwohl ihm doch überhaupt nicht danach war, sich mit der Inneneinrichtung abzugeben. Na gut, das Geld konnte man gebrauchen. Obwohl ja die Blechkuppeln und überhaupt der ganze Gebäudekomplex nur insofern mit Saarinen zu tun hatten, als sein Architekt, Emil Vidor, einige Jahre dessen Anhänger gewesen war.
Man hätte auch sagen können, dass er ihn kopierte.
Und es kamen ihm auch die seltsamen Wörter in den Sinn, mit denen Frau Szemző die Neurosen ihrer jüdischen Patienten bezeichnet hatte.
In diesem neuen Stadtviertel lege sich der Schatten der Blechkuppel über sie, wie im Mittelalter der Judenhut über die Geächteten. Judenhut, so etwas wäre ihm nie eingefallen, er wunderte sich, was diese Frau Szemző zusammenredete.
Gegen die breiten, niedrigen Fenster schlugen manchmal Sprühregen und hin und wieder auch Spritzer vom Wellengang. Hier unten hörte man das gleichmäßige Rauschen der riesigen Schaufelräder und ihr leeres, unerwartetes Quietschen auf der Achse. Unter dem mit einem bordeauxroten Teppich belegten Fußboden sog, stieß, schnalzte und klickte im mächtigen Maschinenraum der Schiffsmotor mit seinen gefetteten, sorgfältig geölten Rädern, Getrieben, Düsen und Kolben. Von dort führte eine Wendeltreppe noch tiefer, hinunter in den heißen, dunklen Schiffsbauch, wo im Gedröhne und Gestampfe zwei rußgeschwärzte, halbnackte Heizer vor dem rot glühenden Maul des Kessels arbeiteten.
Oben mussten die Passagiere lauter als gewöhnlich sprechen.
Es saßen schon alle bei Tisch, entsprechend war das Stimmengewirr im Speisesaal, auch wenn an diesem Tag Ende April die Passagiere der ersten Klasse nicht zahlreich waren. An einem Tisch brachten sich deutsche Offiziere laut in Stimmung, etwas weiter weg, an verregnete Spatzen erinnernd, saß ein sich äußerst verknorzt benehmendes Hochzeitspaar aus Budapest, das von der Umgebung und der fremden Gesellschaft augenscheinlich eingeschüchtert war. Die beiden klammerten sich unsicher an ihre Aperitifs. Vielleicht hatte ihnen ein reicher Verwandter die Hochzeitsreise spendiert, und sie wussten noch nicht recht, was man womit tat. Etwas weiter weg und mehr oder weniger abseits saß an einem für eine Person gedeckten Tisch ein einzelner, sehr korrekt angezogener Herr in den Fünfzigern, Geheimrat Elemér Vay, der im persönlichen Geheimauftrag Seiner Durchlaucht in den folgenden Wochen die Häfen des unteren Donaulaufs zu inspizieren hatte, am vierten und größten Tisch hatten sich serbische Eisenhändler in ihren um etliches zu knapp sitzenden schmierigen Gehröcken und schlechtgeschnittenen, ungebügelten Smokings niedergelassen, zusammen mit ihren überdimensionierten, schmuckbeladenen und grell geschminkten, in völlig deplatzierten, tief ausgeschnittenen Abendkleidern prangenden Frauen.
Nicht zum ersten Mal hatte Madzar den Eindruck, die Zeit an seinem Geburtsort sei träge stehengeblieben und stöhne mit letzter Kraft, ach, was soll’s denn, hat doch keinen Sinn, auch nur eine Sekunde vorzurücken. Mit echtem Entsetzen nahm er diese Leute in Augenschein, als sähe er sich selbst, kaum merklich variiert, in seiner vorherbestimmten Zukunft.
So nicht.
Abgesehen vom streng blickenden Herrn waren alle unendlich lächerlich, trostlos.
Wenn er im Land blieb, würde ihn kein anderes Schicksal erwarten, und wenn er es noch so geschickt zu vermeiden versuchte.
Er würde jemanden
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