Parallelgeschichten
mit mystischen Erlebnissen beschenkt hatten. Er hatte es nicht vergessen, und gerade deswegen glaubte er nicht, dass es mystische Erlebnisse gewesen waren. Körper und Seele durchdringende Visionen, die heimlich das Leben lenken. Die Wasserwirbel neben dem Schiffskörper, die aus zwei verschiedenen Schichten des Flussbetts trüb und zweifarbig heraufbrodelnde Oberfläche, und die wilden, unberechenbaren Strömungen.
Mindestens alle zwei Wochen fuhr er nach Hause. Er wollte die Zeit nutzen, bevor er nach Amerika ging.
Die verlassene Werkstatt und seine Mutter waren eher nur ein Vorwand, er wollte das Wasser aus der Nähe spüren, den Frühmorgennebel, den Fischgeruch, um mit ihrer Gegenwart sein Leben zu füllen. Unter den Kursschiffen wählte er am liebsten die Carolina, das Schiff mit seiner am Klassizismus geschulten ästhetischen Strenge, seiner Zuverlässigkeit und Bequemlichkeit brachte etwas vom frühen neunzehnten Jahrhundert mit, das Madzar sehr hoch hielt. Die Nüchternheit und Bescheidenheit der Maße, ein Pendant der mechanischen Vollkommenheit des Schiffs.
Dieser Mayer war von Paks, der Kapitän hingegen ebenfalls von Mohács, einer der merkwürdigsten Menschen, die er kannte, sein Banknachbar in der Volksschule in der Koronaherceg-Straße.
Mayer wollte zwar nicht unhöflich sein, warf aber kaum einen Blick auf den strudelnden Gegenstand.
Das ist keine Frau, Herr Architekt, rief er gegen das Stampfen der Schiffskolben und den Wind.
Auch wenn es hin und wieder nicht schaden würde, die Frauen zu ertränken, sagte der Architekt lachend.
Ich jedenfalls werde es bis zu meinem Lebensende ohne sie schaffen, das können Sie mir glauben, rief Mayer in den Wind.
Madzar blickte betroffen in die reglosen, ernsten dunklen Augen des Jungen, auf seine dünnen Lippen, seinen stark hervortretenden Kiefer, auf dem sich die stoppelige Haut spannte.
Er ließ den Blick über ihn gleiten, wollte sehen, ob er die Wahrheit sagte, ob er überhaupt wusste, was er redete.
Aber was das Rote ist, können Sie mir doch nicht sagen, rief er freundlich zurück.
Nein, tatsächlich nicht, Herr Architekt, antwortete der Junge beflissen, während er dachte, ist mir auch egal, und sein ganzer Habitus wirkte, als würde er am liebsten die Welt zusammenschlagen.
Auf alles losgehen, auf jeden.
Sie standen noch einen Augenblick an der Reling. Madzar verstand es nicht, wer hatte diesen Mayerjungen so beleidigt, so verletzt, und warum und womit. Dann starrten beide stumm und verblüfft auf den Gegenstand, den das von den Schaufelrädern aufgewühlte Wasser drehte und wendete.
Das Rote war kein Mantel, nicht der Mantel einer Frau, sondern das Lendentuch auf dem nackten Körper von Jesus Christus. Während des Bruchteils einer Sekunde sahen sie das grob geschnitzte Kruzifix an der Wasseroberfläche, dann war es gleich wieder weg.
Wortlos und überrascht vom roten Lendentuch des geschnitzten Leibes folgte Madzar dem Blick des jungen Mannes, dessen große körperliche Anspannung sagte, unrettbar verloren, die ganze Schöpfung ist unrettbar verloren. Bald kommt ihre letzte Stunde.
Er kannte Mayers Vater, Mutter, Großvater, man wusste, dass sie Zeugen Jehovas waren und ans baldige Ende der irdischen Hölle glaubten, Gottes Jüngstes Gericht würde über die vom Satan besessene Welt kommen, Armageddon. Dementsprechend schneidend und unangenehm waren ihre Manieren, so wie auch bei diesem Jungen, trotzdem blieb seine Antwort für Madzar rätselhaft. Es gab Jahre, in denen Madzars Großvater mehrere Kähne oder auch zwei Barken für den Mayer von Paks gebaut hatte, denn der fischte mit vielen Leuten. Der hier mochte der Jüngste einer langen Reihe sein, aber aus irgendeinem Grund hatten sie ihn Schiffsjunge werden lassen. Während sie über die enge Treppe ins Unterdeck hinunterstiegen, beobachtete Madzar seinen hochrasierten Nacken, die knochigen, in Spannung erstarrten Schultern, als könnte ihm die körperliche Beschaffenheit eine Erklärung liefern. Unten war es auf einmal heiß. Im windigen, breiten Gang, an dessen weißen Wänden der gleichmäßig schillernde Widerschein des Wassers intensiver war, roch es nach Speisen, Parfüm und Tabak.
In der Küche zischte, sott, brodelte es, ihre Flügeltür schwang einmal auf, fiel wieder zu, ließ die Wellen von Geschirrgeklapper, die Rufe von Köchen, Kellnern und Küchenmädchen herausschwappen. An der stark polierten, dunkelroten Holztäfelung des geräumigen Salons und des Speisesaals,
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