Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
Vom Netzwerk:
Leben strömte ihm der Hauch der Gleichgültigkeit entgegen.
    Im schlecht isolierten, ungeheizten straßenseitigen Zimmer seines Elternhauses, dessen muffiger Geruch ihn zu seinen Illusionen zurückführte, hätte er die Nacht doch lieber mit jener Frau verbracht als mit dieser, die er nicht kannte und gleich hatte verlassen müssen.
    Er verstand es nicht.
    Aus den Tiefen des Hochwasser führenden Flusses kam hin und wieder ein dunkler Gegenstand an die Oberfläche.
    Verstand nicht, auf welche Art sein Leben bei jemandem zur Ruhe kommen könnte.
    Für das, was man ein Sichberuhigen, Sichniederlassen nennt, brauchte es vielleicht Amerika.
    Die Tage vergingen, und er musste sich dauernd mit architektonischen Detailfragen abgeben, die ihn einer Lösung überhaupt nicht näherbrachten. Schon in Rotterdam war die Frage nach seiner Zukunft, und mit wem er sie teilen könnte, zu einer unlösbaren Aufgabe geworden. Während die mit Arbeit angefüllten Wochen dahinrasten und er dieser übergreifenden und gewiss auch wichtigeren Frage keine Aufmerksamkeit widmen konnte, sah er, wie aus den Wochen Monate, beginnende und sich rundende Jahreszeiten wurden. Befremdet nahm er zur Kenntnis, dass in ihm ein Quantum Leidenschaft wirksam war, das Bedürfnis nach gefühlsmäßiger Befriedigung, das man mit den Freuden getaner Arbeit weder kompensieren noch aufheben konnte. Er müsste es mit jemandem teilen können, aber nicht mit jemand Beliebigem. Immer tiefer öffnete sich in seinem Bewusstsein der Krater des Mangels. Wenn er hingegen den Menschen fand, der seine Leidenschaft erwiderte, sah er sich organisatorischen Aufgaben gegenüber, die mit diesem doch nicht geteilt werden konnten, sondern vielleicht mit jemand anderem.
    Wenn er sich nicht dem Chaos überlassen wollte, musste er von seiner Leidenschaft lassen oder weiterziehen.
    Wie hätte er der Frau eines holländischen Großindustriellen sagen können, sie solle ihre Koffer packen, ihre Kinder anziehen, ein Taxi rufen und mit ihm gehen. Da war es doch eher angebracht, zu seiner Arbeit zurückzukehren, und fertig. Bei dem Standard, den solche Leute gewöhnt waren, hätte er das Hotel schon nach einer Woche nicht mehr bezahlen können. Sie machten zwar schon Pläne, sehnten sich auch heftig danach, aus dem Puppenhaus auszubrechen. Aber Madzar wurde es während dieses Phantasierens klar, dass die Frau von den Dimensionen der Armut nicht den blassesten Dunst hatte. Sie träumte davon, ihre Mitgift aus dem Geschäft ihres Mannes herauszunehmen, aber gleichzeitig war ihrem misstrauischen Blick anzusehen, dass sie es nicht gern täte, denn wieso sollte sie ihr Geld einem solchen Niemand anvertrauen.
    Niemals hätte sie verraten, wie viel es war.
    Als blickte Madzar ins Heiligtum der Ahnungslosigkeit und Gutgläubigkeit, wo eigentlich die böswillige, kleinliche Berechnung herrschte.
    Denn sie konnte es sich doch nicht anders vorstellen, als dass ein Mann für sie sorgte, dafür waren die Männer schließlich da.
    Und mit Frau Szemző würde die ganze Misere von vorn beginnen.
    Er hatte gute Kollegen, mit denen er sich in fast allen fachlichen Fragen völlig verstand, Statiker, Mechaniker, Tiefbauleute, unter ihnen solche, die seine Karriere förderten, weil sie seine Vision der technischen und geistigen Erneuerung der Architektur teilten, aber Freunde waren das nicht. Kaum waren ihre anregenden Diskussionen beendet, liefen diese Männer gleich davon, denn es gab ein heimliches Netz, das ihre Leben auffing. Er wusste nicht, wie es die anderen taten, er kam nicht an die Lösung heran. Wenn er wenigstens Freunde gehabt hätte. Oder wenn er auf die Leidenschaft, den Gefühlsanspruch hätte verzichten können, der ihn immer wieder in die Arme wildfremder Frauen trieb, die ihm dann alle ihre ungelösten Lebensprobleme aufhalsten. Askese wäre die einzige naheliegende Lösung gewesen. Schließlich ging es ja um die Reinheit von Linien auf Papier, und dazu musste er seinen Ort und seine Rolle in dieser Welt voller fremder Menschen kennen.
    Oder, wenn er schon nicht durchblickte, sich mit seinem Privatleben dem Teufelskreis der Leidenschaften entziehen, im Namen der Klarheit.
    Das Wasser trug es, wirbelte es herum, brachte es heran, trieb es ab.
    Zuweilen zeigte sich der Gegenstand deutlicher, enthüllte sich, dann tauchte er wieder unter, vielleicht auf immer. Es war schwer abzusehen, was im nächsten Moment geschehen würde. Möglicherweise greift man statt nach einem wasserdurchtränkten

Weitere Kostenlose Bücher