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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Beleidigtsein nicht ganz überspielen.
    Und nicht einmal das schien unabsichtlich.
    Was soll ich denn sagen, was ich mit dir am liebsten täte, rief er. Am liebsten würde ich natürlich mit dir in Mohács aussteigen.
    Er lachte plötzlich auf.
    Wir würden dieses alte Schiff allein weiterschwimmen lassen und den Rest unseres Lebens in Mohács in schöner Zweisamkeit verbringen, ja. Wir würden auf das ewige Kläffen der Hunde horchen, und nach Amerika ließe ich dich nicht, rief er im Ton des beleidigten Liebhabers.
    Unterdessen kicherte er wie ein Kind, das eine süße Rache genießt, denn gerade dank seiner Beschlagenheit im Versteckspiel sah er hinter jede menschliche Deckung.
    Bei Bellardi verhielt sich alles genau umgekehrt wie bei Madzar. Sein riesiger, schwacher Körper schleppte ächzend seine tonnenschwere Seele.
    Wir würden die Massengräber aufdecken, oder was weiß ich was alles, rief er, wir würden alle unsere alten Pläne verwirklichen. Wir würden aber auch Nützliches und Edles tun. Die Armen unterstützen. Lass uns das abmachen, sagte er, wobei sich seine Züge über seinen eigenen Scherzen verdüsterten, was er wieder als eine Art Geschenk verstand. Jetzt beschenke ich meinen besten Freund mit dem Anblick der Düsternis meiner Seele. Als hätte er mit der überspannten und einsamen Gefühlsschwelgerei genügend Kräfte aus sich selbst geschöpft, um die eigene wahre Stimme mit einem echten Gefühl zum Schweigen zu bringen und damit dem Auftritt ein Ende zu setzen.
    Ich kann nicht aussteigen,
hélas
, fasste er seine Lebenssituation soldatisch zusammen, aber unser letztes Abendessen wollen wir wenigstens gemeinsam einnehmen.
    Wieso meinst du, dass es unser letztes ist?
    Woher soll man denn wissen, wie lange man noch lebt.
    Nicht nur, dass sie anderes sagten als sie dachten, sie mussten ihre nebeneinander verklingenden, zutiefst unehrlichen Worte auch dauernd auf verschiedene Arten interpretieren.
    Die konventionelle Bedeutung deckte ihre Geheimsprache nur knapp.
    Dass Bellardi gern mit ihm in Mohács ausgestiegen wäre, frappierte den Architekten, obwohl er ja wusste, dass das alles bloß ein Spiel mit Worten oder auch nur eine spielerische Idee war. Der Kapitän spielte mit ihrer gemeinsamen Erinnerung, mit den Massengräbern, ja, er griff in gefährliche Tiefen, sogar nach der schönen Zweisamkeit und den Tragödien. Inzwischen sah sich Madzar um, was wollte dieser Mann, was war seine Absicht, wo sollten sie denn sitzen, wo wäre da für zwei gedeckt. Daran konnte Bellardi gleich die Wirkung seiner Worte erkennen, feststellen, dass es ihm gelungen war, sich in Madzars Nähe zu drängen oder ihn zumindest unruhig zu machen. Madzar war auch überrascht, dass der Kapitän das ewige Kläffen der Mohácser Hunde ganz natürlich registriert hatte, obwohl doch in ihrem Palais in der Városház-Straße kaum etwas davon zu hören gewesen sein konnte. Auch jetzt noch liest er auf unheimliche Art in meinen Gedanken, sagte er sich. Und da er einige Minuten zuvor an der Reling stehend genau über solche Dinge nachgedacht hatte, tauchte wieder die Frage auf, ob er nicht der einzigen bedeutenden Freundschaft seines Lebens gegenüberstand.
    Der weiß doch immer, was ich denke.
    Und ein zweites Mal verweigerte er sich ihm, wegen seines Misstrauens Männern gegenüber.
    Dieses eine Mal sollte ich vielleicht eine Ausnahme machen.
    Bis der Hahn kräht, wirst du ihn dreimal verraten haben.
    Wie hätte man ernst nehmen können, dass sie ihr Leben gemeinsam verbringen sollten. In Gesprächen zwischen Männern zeigt sich das Wesen der Beziehung immer in der Suche nach der richtigen Finte. Um in eine günstige Position zu geraten, oder um dem anderen mitzuteilen, was für eine günstige Position ich bereits eingenommen habe.
    Du kannst dir noch so viel Mühe geben, mit mir nimmst du’s nicht auf.
    Und doch erinnerte ihn der Kapitän an die Sehnsucht und das Versprechen, das jeder kleine Junge einmal, wenn auch nicht gleich, so doch im Erwachsenenalter, einlösen möchte.
    Sie konnten es nicht vergessen.
    Wo sich die Strömung ein hohes Ufer ausgewaschen hatte, hingen aus den Sandwänden in einer dicken Schicht Knochen, Schädel, Schienbeine, Becken, Zehenknöchelchen heraus, die erstaunlich heil geblieben waren, aber in der Hand mit dem Sand zusammen zerbröselten. Südlich der Stadt, ungefähr zwei Kilometer von der Spitze der Zigeunerinsel entfernt, hatten sie diese mehrere Jahrhunderte vergessene Stelle entdeckt,

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