Parallelgeschichten
Gefühlen und der gesellschaftlich verpflichteten Distinktion in einer einzigen Geste Ausdruck zu verleihen und damit seinen Rang in jeglicher möglichen Hierarchie aufs deutlichste zu unterstreichen. Er ließ zwei Signalraketen steigen, die ein bisschen knallten und leuchteten und dann ins Nichts zurückfielen, worauf es auf dem großen ungarischen Flachland wieder dunkel wurde.
Kaum hatten sie sich die Hand geschüttelt, änderte er sofort den Tonfall.
Willkommen, sagte er sanft und leise, gleichsam um den offiziellen Ton zurückzunehmen, und als hätte er eine wahre Stimme.
Bei solchen Gelegenheiten sprach er mit der unpersönlichen Liebe eines Mönchs, der allzeit bereit ist, seine Gott betreffenden intimsten Gefühle mit jedermann zu teilen. Selbstverständlich teilte Bellardi seine Gefühle nicht, er teilte nie etwas. Vielleicht hatte er auch gar nichts zum Teilen. Um ehrlich zu sein, du kommst mir aus verschiedenen Gründen gerade recht, flüsterte er gefühlvoll. Wenn er diesen Ton anschlug, hatte Madzar schon früher das Bedürfnis gehabt, möglichst auf Distanz zu gehen, ihn zwar zu tolerieren, aber möglichst wenige Berührungspunkte zuzulassen, aber nach allen den Jahren war ihm auch völlig klar, dass das nicht Bellardis Stimme war, sondern die des Franziskanermönchs, der seit Menschengedenken als Vertrauter und geistlicher Führer der Familie fungierte. Bellardi ließ dem anderen keine Zeit, eine reservierte Haltung einzunehmen, mit einem neuerlichen Tonwechsel ließ er den Heuchelton von vorhin fallen. Er fügte mit nüchterner Stimme hinzu, sie würden von dem allem später noch eingehender reden,
au coup par coup
, alles zur Sprache bringen.
Aber sicher doch, erwiderte Madzar, ich habe da gar keine Zweifel, obwohl er wieder linkisch und unbeholfen dastand und sich seine Glieder noch schwerer anfühlten als sonst.
Am Schauspiel selbst aber konnte er sich gar nicht sattsehen.
Es eröffnete ihm eine Perspektive, in der er eine Vorstellung und ein Gefühl seiner eigenen schwerfälligen Natur bekam.
Als sagte er gegen jede Absicht zu Bellardi, immer wieder erringst du meine Bewunderung. Aber gleichzeitig auch, jetzt hör doch schon auf, hör doch auf mit dieser ermüdenden und überflüssigen Verstellerei, mit dieser ganzen dummen Maskerade. Aber angesichts seines Erfolgs tat Bellardi genau das Gegenteil. Zunächst einmal schnitt er dem anderen den Weg ab, so dass man zurückwich wie ein scheuendes Pferd, dann ging er einen Schritt weiter als nötig und möglich, forderte heraus, provozierte.
Er ließ Madzars gedrungenen, hilflosen Körper nicht mehr los, quetschte ihn, ließ ihn knacken, was Madzar, der diesen Körper dank einer belastbaren Schicht seiner Seele ertrug, sofort tief erröten ließ.
Mach dir keine Hoffnungen, Freundchen, die Maskerade hört nicht auf. Und dieses eine Mal sei ehrlich zu dir selbst. Du willst auch gar nicht, dass sie aufhört. Du würdest umkommen vor der Langeweile, die aus deiner eigenen protestantischen Seele strömt. Es tut dir gut, wenn jemand an deiner Stelle Theater spielt. Ich habe kein wahres Gesicht, das siehst du doch selbst, beziehungsweise du würdest vor Schreck sterben, wenn du mein wahres Gesicht erblicktest.
Ich vertrete dich in allem, wozu du zu feig bist.
Mir nimmst du es vielleicht nicht übel, sagte er unterdessen mit dem verführerischen, ironischen Strahlen seiner Augen lachend, dass ich deine Solitüde so ungezogen gestört habe. Auch ich sehne mich nach nichts mehr als nach mönchischer Einsamkeit, aber ohne dich kann ich nicht sein, rief er mit einer Stimme, die sich scheinbar überwinden musste auszusprechen, was sie dann doch aussprach.
Seine unbarmherzigen kleinen Siege über die andern verbuchte der Kapitän gern unter der Rubrik Bescheidenheit und Zuvorkommenheit.
Im Gegenteil, antwortete Madzar beflissen, sich mit der höflichen Formel behelfend, ich wollte nicht aufdringlich sein, log er lustvoll, als wäre es wahr. Das wäre mir sehr unangenehm.
Aber, aber, Bellardi wies ihn mit tatsächlich dunkler werdendem Blick zurecht, was mein lieber Kumpel nicht alles zusammenredet. Wie kannst du so etwas Törichtes sagen, mein lieber Lojzi, und wie kannst du so etwas auch nur denken, sagte er in einer Atempause seiner Empörung, und um seinem Zorn die Spitze zu nehmen, fügte er sogleich hinzu, ich bin zutiefst empört. Seine riesigen Augen glänzten dazu in der Wonne des Rollenspiels sanft und freundlich. Allerdings konnte er sein
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