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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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erreichten allmählich ihre volle Leuchtkraft, womit sie die Dunkelheit draußen zur Nacht verdichteten.
    Ich würde vorschlagen, wir lassen die gewöhnlicheren Speisen aus. Machen wir ein kleines Fest.
    Wenn du verrätst, was du unter gewöhnlichen Speisen verstehst, sagte Madzar gedehnt, da er zugleich im Genuss des Speisekartenstudiums und in den zweifelhaften Gefühlen versunken war, die die Nähe des anderen Manns und das gleichmäßige Stampfen des Schiffs bei ihm hervorriefen, dann werde ich deinen Rat weitgehend befolgen.
    Als arbeitete sich die riesige Dampfkraft in eine Nacht hinein, in der es kein Vorn und kein Hinten mehr gab; als erreichte sie mit ungeheurer Arbeit, dass sie am Ort stillstanden.
    Ob die Erwachsenen wohl dieses wirre Gefühl meinen, wenn sie sagen, die Freundschaft sei noch wichtiger als die Liebe. Sein Herz füllte sich mit einer seltsamen Angst und Beklemmung.
    Denn erst jetzt wurde ihm bewusst, was zwanzig Jahre zuvor geschehen war.
    Wir sind noch keine dreißig Jahre alt.
    Bellardi wird wohl recht haben, man verändert sich nicht, und wie sollte es dann einen historischen Fortschritt geben. Dafür müsste der Mensch zuerst die Richtung seiner eigenen Bewegung begreifen. Was ist mit mir geschehen, was geschieht. Und wenn es keinen Fortschritt gibt, wozu dann meine große Strenge. Die beiden großen Schaufelräder drehen sich an Ort und Stelle, um eine einzige Achse. Er weiß das natürlich, er fährt ja einmal mit dem Strom, einmal gegen den Strom, eine andere Wahl hat er nicht. Mit demselben Aufwand könnte er auch ein Ackergaul sein, oder er könnte sich als Straßenbahnschaffner verdingen. Wenn es keinen Fortschritt gibt, gibt es auch keine Vergangenheit und Zukunft.
    Wie ein Schwein legt sich der Mensch in die erstbeste Pfütze, suhlt sich im Augenblick. Das ist ein mit allen Wassern gewaschener, unglücklicher Mensch, dieser Bellardi, der schon immer eine dunkle kleine Neigung zu derartigen Verschwörungen und Rebellionen hatte.
    Was für einen lustvollen Mund er hat. Vielleicht ist doch jedes Gefühl eine Illusion, der andere Mensch ist Illusion.
    Dann war auch der Versuch überflüssig, diese psychoanalytische Praxis bis zum Letzten sachlich zu halten.
    Nicht die Frauen, die sind eher übertrieben realistisch, sondern die Männer. Wir taugen zu nichts anderem als zur Begattung. Wir könnten Zuchtpferde sein oder Kaninchen.
    Was soll ich denn sagen, ich weiß ja gar nicht, wie ich es meine, sagte der Kapitän nach längerem Nachdenken launisch, und er schüttelte sogar den Kopf dazu. Jedenfalls keine Krebse, sagte er, ohne von der Speisekarte aufzublicken, und auch keine Gänseleber, auch die
escargots
mit provenzalischer Kräuterbutter nicht, nein, aber frag nicht warum, auch die Froschschenkel nicht.
    Er schien Madzar damit mitteilen zu wollen, dass in dem bevorstehenden Krieg seine soldatische Heiterkeit genauso wenig nützen würde wie dessen Zivilistenstrenge und Ernsthaftigkeit.
    Jedenfalls verstand es Madzar so. Der alte Kellner beugte sich vor und schlug mit seiner Serviette nervös auf dem Tisch herum, womit er sie gründlich störte.
    Jetzt machen Sie doch keinen solchen Lärm.
    Es ist alles zu haben, sagte der Kellner auf Deutsch, müssen Sie mir glauben, wirklich alles, frisch eingekauft, bebürge mich dafür, fügte er auf Ungarisch hinzu.
    Verbürgen Sie sich für gar nichts, sagte der Kapitän und hob abwehrend die Hand. Zur Introduktion würde ich heute etwas Brutaleres präferieren. Darf ich dich auf den Fischrogensalat aufmerksam machen, er schnalzte mit der Zunge, der wird roh gereicht, oder vielleicht die
champignons à la grecque.
Ich nehme das.
    Sehr wohl, sehr wohl, sagte der Kellner unter Verbeugungen.
    Seine aufdringliche Redseligkeit entsprach nicht der tiefen und echten Demut, mit der er sich dauernd verbeugte und allen zur Verfügung stand. Ein ungeformter Rebell, dessen Stunde noch nicht gekommen war, der aber schon alle Fäden der Verschwörung in der Hand hielt.
    Als wäre es geradewegs er, der Bellardi lenkte.
    Darf ich den Herren gleich nachschenken, fragte er unruhig und bog sich mit seinem großen Körper, als müsste er die Scharte von eben auswetzen, um wieder Herr der Lage zu werden.
    Ja, ja, antwortete der Kapitän gemütlich und zerstreut, höchste Zeit, dass Sie’s tun.
    Madzar fasste die Gestalt dieses Menschen zum ersten Mal ins Auge.
    Seinen mächtigen, gewichtigen Körper, den er auf seinen Krampfadernbeinen ein Leben lang treppauf

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