Parallelgeschichten
Leere hinter eine Glaswand stellen.
Sie blickten sich in die Augen.
Unterdessen sogen beide den edlen Duft des Weins ein, das reiche, reife, herbstlich süße Aroma einer fremden Erde. Der Duft bedeutete Glück, Erfüllung, der Geschmack hingegen war herb.
Wieder wollte er rasch das Thema wechseln.
Weißt du, einen Teil der Möbel mache ich selbst, sagte er. Deswegen habe ich nach dem alten Gottlieb gefragt. Wenn ich das entsprechende Material bei ihm finde, kann ich auch gleich zu Hause bleiben. Ein paar Sommerwochen werde ich für die Möbel schon brauchen.
Ein paar Sommerwochen, wiederholte Bellardi nachdenklich, einer inneren Ferne nachhängend, während er mit den Fingern den Glasstiel zerstreut drehte.
Um nicht gleich zwei Monate zu sagen.
Ach Gott, wenn auch ich noch ein paar Sommerwochen in Mohács haben könnte.
Weißt du, es begeistert mich richtig, in der Werkstatt meines Großvaters und Vaters arbeiten zu können.
Mohács war der Untergang, du bist der letzte Übriggebliebene.
Ich werde mit ihrem Werkzeug etwas machen, das sie sich gar nicht vorstellen könnten. Sie würden sagen, das geht nicht, das darf man nicht.
Brauchst du nicht irgendwie eine Hilfskraft, fragte Bellardi.
Darauf hatte Madzar keine Antwort.
Sag mal, und da wandte der Kapitän aus Diskretion doch den Blick ab, dieser Professor in Budapest, seine Frau, für die du arbeitest, das sind doch Juden, oder.
Wahrscheinlich wollte er das Thema von eben nicht ganz lassen.
Madzar hingegen nahm es ungern wieder auf.
Ja.
Wieder nahmen sie einen Schluck.
Als ginge es um ein stilles Abwägen, um Art und Qualität des gegenseitigen Vertrauens.
Darauf eingehen, oder doch besser nicht.
Aber du hast noch immer nicht verraten, sagte der Kapitän hinter seinem Glas, als hätte er sich entschieden, ob etwas war zwischen dir und Marika. Es ist keine zwei Monate her, dass ich die Dame gesehen habe.
Du warst also zu Hause.
Aus traurigem Anlass, das Erbe meiner Tante zu ordnen. Was soll ich dir sagen, auf ihre Art sehr hübsch.
Ach, du machst doch Witze, was hätte zwischen uns schon sein können, sagte Madzar erbost.
Der alte Wiener Kellner kam wieder die Treppe heraufgestiegen, diesmal mit den Speisekarten. Madzar wollte nicht auf etwas eingehen, das er vorhin glücklich umschifft hatte. Der Kellner schlug die Menütafeln auf und hielt sie ihnen mit einer feierlichen Geste hin.
Ich warte neugierig auf die vertrauliche Mitteilung, sagte Madzar.
Vorher wollen wir bestellen, mein Freund, mit Politik und Geschäften geben wir uns später ab, sagte der Kapitän und zeigte beim Lachen seine kräftigen, weißen, aber unregelmäßigen Zähne. Er tippte mit einer keinen Widerspruch duldenden Bewegung die oberste Zeile der Speisekarte an.
Um Politik und Geschäfte geht’s also, sagte der Architekt.
Zuerst aber um Vorspeisen und vor allem um unsere lieben Suppen, Lojzi, mein Bester. Alles andere nachher.
Ich kann mir nicht vorstellen, was du willst, aber um ehrlich zu sein, ich spüre deine heimlichen Absichten.
Du wirst es kaum glauben, aber meine Absichten sind edel, lauter wie Gold. Ich werde es dir darlegen, wir werden mit offenen Karten spielen. Oder vielleicht schauen wir uns zuerst die Hauptgerichte an, damit wir uns leichter für eine Vorspeise entscheiden können, sagte der Kapitän und schaute ihn fragend und überheblich an.
Madzar antwortete nicht, einmal blickten sie auf die Speisekarte, um sich nicht anschauen zu müssen, dann blickten sie wieder zum andern auf, denn es fiel ihnen trotzdem schwer, dessen Blick zu missen.
Oder vielleicht noch wichtiger, sie wollten verhindern, dass sich der Blick des andern einen Vorteil verschaffte, ihr ungeschütztes Gesicht auskundschaftete.
Man hörte nur das gleichmäßige Stampfen des Schiffs.
Der alte Kellner, der unterdessen auf dem Tisch Kerzen angezündet hatte, murmelte jetzt nicht in verschiedenen Sprachen, sondern stand erwartungsvoll in seinen mächtigen, ausgetretenen schwarzen Schuhen, in seiner abgewetzten, glänzenden schwarzen Ziehharmonikahose.
Wo ist Mayer, warum sehe ich ihn nicht, sagte der Kapitän fast beiläufig, aber mit einer seltsamen Kopfstimme.
Offenbar, antwortete der Kellner auf Deutsch, hat er wieder zu den Heizern hinuntermüssen.
Bellardi ließ das wortlos auf sich beruhen, aber man sah ihm an, dass ihm die Antwort des Kellners gar nicht behagte. Sie machte ihn unruhig.
Die in den dreiarmigen Kerzenhaltern aufflammenden Kerzen brannten immer heller,
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