Parallelgeschichten
verdauen und trinken, er schenkte immer wieder nach, sich vielleicht betrinken, große Fürze loslassen, nie aufhören, es war nicht misszuverstehen.
Von dem Moment an, als Bellardi plötzlich von der Volksschule in der Koronaherceg-Straße genommen und in aller Eile nach Triest verfrachtet worden war, hatte Madzar niemanden mehr gehabt, den er als seinen Freund ansah.
Das war ein höchst seltsamer Mangel. Es fehlte etwas, das er nicht für wichtig hielt.
Im Sommer kam ein Teil von ihm zurück, eine nunmehr fremde Gestalt, die dauernd mit irgendetwas aufschnitt, seine Besonderheit herausstrich und zu der Madzar manchmal ganze Tage, manchmal nur ein paar Stunden lang, aber doch zurückzufinden vermochte. Bei diesen Gelegenheiten war er froh, ihre Freundschaft nie ernst genommen zu haben, denn er fühlte noch deutlicher, wie sie sich auseinanderlebten, sich zwar schon nahestanden, aber die Distanz doch nicht vergessen konnten. Diese Distanznahme war für Madzar wie das Entrinnen vor einer Gefahr, als sei er einer, der für Kindereien keine Zeit mehr hat.
Sein auf die Zukunft bezogenes unbedachtes Wort, er wolle dann sehen, brachte den Schmerz der einstigen Niederlage zurück.
Er wusste nicht, was er davon halten sollte, zum ersten Mal im Leben war er tödlich verwirrt.
Du erinnerst dich vielleicht nicht, rief er mit einer gepressten, seltsam zitternden Stimme, als riefe er ein letztes Mal hilfesuchend und verzweifelt aus der Kindheit heraus, ich habe meine beste Lederschleuder bei dir vergessen.
Mit dem Kapitän geschah in diesem Augenblick etwas Ähnliches, obwohl es wirklich selten vorkam, dass er überrascht war. Als erreichte ihn der Vorwurf oder die alte Nachrede, er habe gestohlen.
Was vergessen, fragte er betroffen und drohend. Ich erinnere mich an keinerlei Schleuder.
Auch das tat Madzar weh, er sah, dass sich der Schweinekerl tatsächlich nicht erinnerte. Doch die Überraschung, dass sich Bellardi also auch an diese Schandtat nicht erinnerte, ernüchterte ihn sofort. Der war fähig, mir meine beste Schleuder nicht zurückzugeben, und er erinnert sich nicht einmal daran.
Verzeih, es ist mir nur so in den Sinn gekommen.
Es ist lächerlich, aber ich erinnere mich heute noch genau, wohin ich sie an dem Nachmittag gelegt hatte, sagte er versöhnlich und in einem möglichst erwachsenen Ton.
Du hattest ein Bilderbuch, Die Damen des ungarischen Adels, da habe ich sie draufgelegt.
Habe ich sie nicht zurückgegeben, fragte Bellardi mit einem etwas pflichtschuldigen schlechten Gewissen. Als hoffte er trotz allem, dass er sich erinnern könnte, dass dieser Madzar seine Lederschleuder tatsächlich auf die Damen des ungarischen Adels gelegt hatte. Da sieht man wieder, dass man dem anderen, ohne es zu wollen, immer Schaden zufügt, sagte der Kapitän, mit sich selbst versöhnlich.
Wie dumm.
Madzar erinnerte sich, dass man sich genau in solchen Momenten vor Bellardi in Acht nehmen musste.
Mit seinen Lügen wirkte er meistens übezeugend, er wob sie aus Bescheidenheit und Hochmut, ein Gewebe, wie es Madzar nicht kannte, beziehungsweise er durchschaute immer zu spät, dass er ihm schon wieder auf den Leim gegangen war, und so war es am besten, man redete nicht von der Sache.
Auch wenn du sie bei mir gelassen hast, weißt du, als ich in den ersten Ferien nicht nach Mohács, sondern nach Buda fuhr, fand ich in unserer neuen Wohnung meine alten Sachen nicht mehr. Ich wagte gar nicht danach zu fragen, ich glaube, sie hatten sie einfach weggeworfen.
Du musst das so sehen, fügte er nach kurzem Schweigen hinzu, dass ich nichts, rein nichts mehr wiederfand.
Verzeih, ich weiß selber nicht, warum mir das in den Sinn kam.
Was soll ich denn verzeihen, jetzt hör doch schon auf, mich um Verzeihung zu bitten.
Gibt es denn überhaupt etwas, womit du mich verletzen könntest, sagte er zähneblitzend und schenkte ein.
Diesmal aber nur in sein eigenes Glas, als hätte er den anderen zufällig vergessen. Nein, nichts, es gibt nichts, womit du mich verletzen kannst. Und wenn die Pilze angebraten sind, fuhr er unbeirrt fort, löscht man sie mit Zitronensaft ab, dann kommt Salz, gemahlener Lorbeer und Pfeffer drauf, ein Prise Safran schadet auch nichts, davon werden sie so schön gelb.
Madzar hörte nicht hin.
Auch wenn ihm nicht entging, dass man die Pilze etwa zehn Minuten dämpfen muss, nicht zugedeckt. Er dachte an die Schleudern, solche mit Gummi und solche mit Leder. Und dann schreckt man das Gericht mit Eis ab, sagte
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