Parallelgeschichten
Madzar wollte die Gefühle fernhalten, auch wenn es ihm gut tat, dass er mit seiner Unvorsichtigkeit Bellardi an etwas erinnert hatte, wovon sie nicht sprachen.
Sie gefiel mir sehr, sagte er laut, um nicht von dem Ungenannten zu reden.
Also dann prosit, sagte Bellardi, das Glas erhebend. Mit Marika Gottlieb, es lässt sich nicht leugnen, ist unser Männerleben komplett.
Sie lachten auf.
Madzar war von diesem schamlosen gemeinsamen Lachen peinlich berührt. Auch das konnte er nicht zurücknehmen. Es war ihm zu viel, sie besiegelten damit ihr einstiges Komplizentum und löschten zugleich ihre Liebe.
Was immer geschehen ist und geschehen wird, fuhr der Kapitän sich verdüsternd fort, um seinerseits auf die dunkle Geschichte anzuspielen, die Madzar soeben mit der Erinnerung zum Schweigen gebracht hatte, worauf er völlig unerwartet und theatralisch ausrief, du hast mich glücklich gemacht, mein Junge, man könnte sogar sagen, dass du meine Kindheit vergoldet hast. Auch jetzt bin ich glücklich, dich hier im
tête-à-tête
zu haben, fügte er ganz leise hinzu. Das muss ich dir ganz mannhaft gestehen.
Er machte eine freundliche Grimasse dazu, um wegen des Geständnisses nicht zu gefühlvoll zu werden.
Madzar blickte ihn an wie einen Unbekannten.
Wozu solche Dinge aussprechen.
Trinken wir darauf, rief Bellardi, als hätte er verstanden.
Du wirst es einem alten Heiden nicht glauben, aber für dieses Geschenk bin ich sogar dem Herrn, meinem Schöpfer, dankbar.
Über das alles hätten sie lachen müssen, aber es entstand eine Stille.
Ich würde gern wissen, was du denkst, sagte Madzar später mit strengerer Stimme, als hätten ihn diese frivolen Worte eher gefühllos gemacht.
Na, was denke ich wohl, antwortete der Kapitän mit scheinbarer Gereiztheit, aber tatsächlich überraschend nüchtern, das denke ich, mein Lieber, dass es Krieg geben wird, und wir werden unter dem Diktat unserer Interessen daran teilnehmen. Die Deutschen werden sich alles einverleiben, das denke ich. Und an mein eigenes skandalöses Leben denke ich, von dem ich nicht einmal dir erzählen werde. Ihr Zivilisten, entschuldige, wenn ich es so formuliere, habt keine Ahnung, was untendurch abläuft.
Madzar passte diese Wendung des Gesprächs überhaupt nicht. Was läuft denn untendurch ab, fragte er jovial.
Wir würden uns selber schaden, wenn wir offen dagegen einträten, aber es wäre höchst unverantwortlich, blind mitzumachen.
Untendurch fließt Wasser, Laci, Lieber, und nichts anderes.
Wenn man es ganz fein formulieren will, erwiderte Bellardi lachend.
Als wüsste er sehr viel mehr und wäre auch bereit, alles auszusprechen.
Mit mir willst du dich anlegen, Freundchen. Wollen wir eventuell vom Blut reden, das ebenfalls fließen wird.
Aus Rücksicht auf den anderen würde er es nicht tun, es nicht aussprechen.
Trotz aller Abwehr musste sich Madzar gestehen, dass Bellardi ihr Gespräch richtig lenkte. Es war vielleicht wirklich besser, von der Politik zu reden, statt von anderem. Es war auch besser, wenn er seine Geheimnisse nicht mit ihm teilte. Madzar nickte mit seinem schweren Kopf, auf dem das Haar wie ein Panzer saß.
Deshalb will ich weggehen, so bald wie möglich, so weit weg aus Europa wie nur möglich, antwortete er schwerfällig und verstummte sogleich.
Irgendwohin, wo man noch arbeiten kann, fügte er zur Erklärung hinzu.
Aber die Arbeit, die du hier angenommen hast, führst du noch zu Ende, oder.
Ja.
Bestimmt wird da noch Herbst draus, sagte Bellardi in einem Ton, als würde er den andern Menschen gern im Innersten seiner Seele verstehen, oder als wöge er etwas ab.
Eher Winter, bis ich fertig bin.
Sie tippten das Weinglas des anderen leicht an, und auch das war eine Feststellung ihres Glücks.
Trotzdem wurde Madzar nachträglich von Panik überfallen. Er hätte sich kein Leben vorstellen können, in dem jedes Gefühl unverhüllt benannt wird.
Als würde er von einer Sehnsucht nach Transparenz in eine bodenlose Tiefe gezogen. Seine psychologischen Kenntnisse und sein architektonisches Programm begegneten sich in diesem Punkt, standen sich aber unversöhnlich gegenüber. Er begriff nicht, wie er mit Frau Szemző so weit hatte gehen können. Und wo der Anspruch auf Transparenz aufhörte, und wer damit aufhören sollte. Zwei erwachsene Männer, wie lächerlich, redete er sich zu.
Dieses Schiff nehme ich auch nie mehr, bestimmt nicht.
Dieser Geschichte kann ich doch ganz leicht ein Ende machen.
Sollte er denn eine
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