Parallelgeschichten
Jahren ihrer Ehe hatten sie versucht, die körperliche Nähe des andern zu akzeptieren, aber es ging nicht.
Höchstens an ihre Schönheit erinnerte er sich gern. Nach jeder gewonnenen Minute sagen, na siehst du, hast es doch ertragen, hast nicht aufbegehrt, sondern für die Prüfungen den Vater der Barmherzigkeit gelobt, auch wenn Gottlieb sehr wohl wusste, dass Ausdauer höchstens einen Wert an sich darstellt, aber keine Belohnung nach sich zieht, nicht hier, nicht im Jenseits. Bis zum heutigen Tag erfüllte es ihn mit Befriedigung, dass er zu einer schönen Frau gekommen war, auch wenn sich ihre Schönheit für ihn nie geöffnet hatte. Und was zwischen ihnen vor dem Angesicht des Herrn geschehen war, darüber hatte er nie nachdenken können. Denn es war zu befürchten, dass der Wahn auch ihn, wenn er nicht genügend betete, sondern sich in die Fremdheit hineindachte, überkommen würde, ihn am Schopf packen, in die Tiefe mitreißen. Einmal wurde ihm während des Betens schaudernd bewusst, dass er sich vor der Tiefe in Acht nehmen, dass er sich an die Höhen halten musste, da doch diese unglückliche Frau außer ihm niemanden hatte. Von da an bemühte er sich, von größter Mitmenschlichkeit gelenkt, bewusst und ausschließlich an seichte Dinge zu denken. Gott sei gepriesen, er hatte zwei gesunde Kinder, gegen Holz klopfen, und das Angedenken unseres armen kleinen Toten sei gesegnet. Dieses Blut von seinem Blut ist aber der Mutter gegenüber nicht nur gleichgültig, sondern noch fremder als sie, da sie völlig ihr nachgeraten sind.
Er sah ihnen an, dass sie ihre Mutter gern losgeworden wären, sie ohne weiteres ins Heim von Bonyhád gesteckt hätten, das die jüdische Glaubensgemeinde für ihre Geisteskranken eingerichtet hatte.
Was sollen wir denn mit unserer Mutter, würden sie sagen.
Solange die Frau lebte, durfte er nicht sterben.
Er, ein Fremder, musste für diese fremde Frau sorgen.
Er verstand den Allmächtigen nicht, warum bestellte er wildfremde Menschen einander an die Seite.
Aber wie sollten wir seine Macht begreifen können. Gottlieb wollte sie nicht mehr begreifen.
Inmitten seines Gebets musste er plötzlich den Herrn laut auslachen, wegen der wildfremden Menschen, aber es machte ihn auch schaudern. Befremdeten Menschen hat der Herr den Fremdheitsgedanken ins Hirn gepflanzt. Wie schlau vom Herrn, wie er da ins Denken eingreift.
Er sagt, denk schön oberflächlich, und dann ist es doch so tiefschürfend, dass es wehtut.
Wieder hast du mich erwischt, Herr, danke, dein Wille geschehe, jetzt und in alle Zeit und in Ewigkeit, Amen.
Er verstand, auf welche Art die Unerbittlichkeit des Herrn sein freudloses Leben gutmachen konnte.
Nichts antworten, nicht einmal aufblicken, das flüsterte die nüchterne Berechnung ein, mit dem Gebet die Funken des Denkens, seine unruhigen Regungen verdrängen.
Eigentlich ertrug er alles, nur eines ertrug er nicht.
Wenn Margit kreischte, siehst du denn nicht, ich habe dir drei wunderschöne Kinder großgezogen.
Das nicht, das dritte nicht.
Unser drittes Kind, Margit, ist verkrüppelt geboren, nennen Sie ihn, wie Sie wollen, aber wunderschön sollen Sie ihn nicht nennen.
Den Mund halten, keinen Vorwand liefern für einen Streit.
Wenn sie zu streiten begannen, weil Gottlieb nicht antwortete, oder weil er antwortete und sich nicht mehr an den nüchternen Verstand halten konnte, und der Streit artete aus, weil er aussprach, dass sie ihr drittes Kind begraben hatten, wir haben ihn begraben, Margit, merk dir das endlich, auch dann blieb kein Platz zum Nachdenken. Nur musste er da nicht die Güte, sondern die Bosheit bis zum letzten Tropfen auskosten, worüber ihn der nüchterne Verstand verließ, was ebenfalls keine geringe seelische und körperliche Prüfung war. Seine Frau rief bei solchen Gelegenheiten ein ums andere Mal den Namen des kleinen Toten, genauso wie damals, als man es ihr gesagt hatte, sie hatte nach ihm gerufen, er solle nach Hause kommen, wo ist er, vorhin war er doch noch auf der Straße draußen, hat mit den anderen gespielt.
Was heißt gespielt, wir haben ihn doch in Pflege gegeben, Margit, was reden Sie, zu den Strickers auf der Insel, für den ganzen Sommer.
Ich gebe mein Kind niemandem in Pflege, auf keinerlei Insel. Sie haben das getan. Sie. Zu Gojim in Pflege gegeben. Sie allein.
Sie brach zusammen, wand sich auf dem Boden, als müsse sie in ihrer Qual erneut gebären.
Aber auch Gottliebs Schweigen konnte etwas auslösen, die Monologe
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