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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Margits Rachsucht nicht mit Schweigen zu provozieren.
    Er kehrte rasch zur Fußnote zurück, auch wenn er das Ende der Geschichte noch nicht gelesen hatte.
    In der Cleve genannten Stadt, auf jener endlosen Tiefebene, wo Maas, Niers und Rhein aufeinander zustreben, lebte ein Rabbi namens Ammon, las er laut und lächelte dazu, als hätte er in der Fußnote die glückliche Lösung gefunden. Höre, Margit, was ich gefunden habe. Ich meine, auch du hast noch nie von diesem Rabbi Ammon gehört, ich nämlich auch noch nie.
    Ich sage, ich sage doch, wenn Sie wenigstens einmal, ein einziges Mal darauf achten würden, was ich rede, ich, ich, erwiderte die in der Endlosigkeit ihrer Haushaltsphantasien überraschte Frau fast drohend, nicht nur ein schönes Stück Leber, sage ich, wie kann ich es dir noch deutlicher sagen, du Ruchloser, du Gemeiner, du Verfluchter, sondern auch Morcheln habe ich dir gekauft.
    Morcheln, sagte sie genussvoll, denn sie nahm nicht nur die Vorstellung von der blutprallen Leber gern in den Mund, sondern auch die Morchel mit dem wohlgerundeten Vokal.
    Beim Juden habe ich die Morchel gekauft, nur keine Angst. Beim Goj kaufe ich keinen einzigen Pilz, was die mit ihren dreckigen Händen anfassen, das soll ich dann kaufen. Die gemeinen Hunde, die verderben alles. Denen kaufe ich nichts ab.
    Gottlieb warf einen Blick auf diese wildfremde, ungepflegte, schwerkranke Frau, die auf nichts neugierig war, das sie nicht schon kannte. Sie hütete ihr Unwissen mit tiefer Überzeugung, aber zuweilen wusste sie doch überraschende Dinge. Es war nicht einmal ausgeschlossen, dass sie die Geschichte von Rabbi Ammon kannte. Ihr geliebter Vater seligen Angedenkens, ein hässlicher, überaus bösartiger und rabiater Mann, war für die Munkácser Glaubensgemeinde als Kantorausbilder tätig gewesen, und so hatte Margit im Elternhaus, dessen Wohnraum auf den Stall und das Schulzimmer ging, etliches aufgelesen.
    Gottlieb strahlte sie mit überzeugendem Lächeln an, denn dieses eine Mal hätte er die Geschichte wirklich gern mit jemandem geteilt.
    Womit er die wahnsinnige und sich nach Verständnis sehnende Frau einnahm, vielleicht auch irreführte und bannte.
    Hier steht, sagte er und blickte rasch wieder ins Buch, dieser Rabbi sei seines Reichtums, seiner umfassenden Bildung, seiner Charakterstärke und Sanftmut wegen unter den Zeitgenossen der Erste gewesen. Sein Ruhm gelangte sogar an den Duseldorper Hof des Herzogs von Jülich, und wenn es den Herzog oder die Herzogin ankam, war er bei ihnen immer wieder ein gerngesehener Gast.
    Setz dich doch, Margit, hier mir gegenüber, setz dich doch endlich mit diesen unglückseligen Nockerln, damit ich dir die Geschichte vorlesen kann, er zeigte mit dem Buch ungeduldig auf einen zweiten Hocker.
    Madzars Mutter kam ungefähr zu dieser Zeit von der Insel nach Hause, stark erhitzt von der Arbeit und dem Radfahren.
    Madzar, wortlos, unsichtbar, beobachtete von der Veranda her, wie sie das Rad zum Schuppen schob, wie sie es vorsichtig gegen die Wand lehnte, wie sie aus der Hucke schlüpfte.
    Auf dem Rand der Traufe rief ein einziger Vogel trocken und scharf.
    Nach jedem Ruf federte er zweimal, flog aber nicht ab.
    In der Hucke seiner Mutter lagen nur ihr weißer Unterrock, den sie wegen der Hitze abgelegt hatte, ihr schwarzer Sweater und ein wenig frisch geschnittene Luzerne für die Kaninchen. Ihre Sichel war sorgsam an den Korbrand gehängt.
    Der hinter der Traufe nistende Rotschwanz gab wahrscheinlich Gefahrensignale, weil zwischen den Rosen oder den Rebenstrünken die Katze lauerte. Madzar hinter dem Verandafenster las aus den trockenen Gesichtszügen seiner Mutter vieles heraus. Vieles, dessen er sich früher nicht hatte bewusst werden können. Vieles von der Realität, aus schlichten Einzelheiten bestehend, die sein Leben bestimmt hatten. Er erkannte auf dem Gesicht seine intimsten Erinnerungen wieder, die man gerade wegen ihrer Gewöhnlichkeit nie richtig beachtet.
    Während sie auf die Fähre gewartet hatte und dann von der Insel auf die Stadtseite gefahren war, was alles hatte sie da nicht gehört.
    Die trockenen Züge lösten sich leicht in Erregung auf.
    Während sie zusammen mit den anderen Frauen hinübergelangte, erfuhr sie Dinge, die sie aus anderen Quellen und in anderer Version schon kannte, aber jetzt in neuen, bisher ungeahnten Einzelheiten erblickte.
    Margit regte sich auf, schimpfte mit ihrem Mann, wenn er den Hocker doch einmal hinausgetragen habe, warum trägt er ihn

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