Parallelgeschichten
von dem die Christen glauben, er sei der Erlöser.
An diesem Punkt musste Gottlieb lustvoll lachen, die Gojim sind ja schon unendlich unwissend und töricht.
Margit stimmte zwar nicht in das Lachen ein, aber die Freude des Mannes bereitete ihr ein gewisses Vergnügen.
Rabbi Ammon erwiderte in der Eile, man möge ihm drei Tage Bedenkzeit geben, und er ersuchte ehrerbietigst darum, diese drei Tage in seinem Heim verbringen zu dürfen.
Geh, Jude, sagte der Herrscher darauf gnädig, und er winkte, als hätte er schon vergessen, was ihm der Graf von Cleve zugeflüstert hatte. Aber er hatte es nicht vergessen, ganz und gar nicht, sondern als eine Woche vergangen war, dann zwei, dann drei, und der Rabbi noch nicht mit seiner Antwort kam, schickte er nach ihm.
Der Gemeine, Dumme, Gottlose, was für ein Gemeiner, Gottloser, sagte Margit und meinte diesmal den Herzog.
Reg dich nicht auf, Margit, wart das Ende ab, Gottlieb blickte kurz vom Buch auf.
In jenem Jahr aber dauerte das Hochwasser sehr lange, und so brauchte der Gesandte des Herzogs eine gute Woche, bis er die Stadt des Grafen von Cleve erreichte, fuhr er ganz leise fort. Dort jedoch fand er anstelle des Rabbis und seiner Familie nur den erkalteten Herd vor, und niemand wusste ihm zu sagen, wo sie geblieben waren. Der Rabbi aber war unterdessen mit seiner Familie heimlich in die Stadt Pfeilen gezogen.
Wohin ist er gezogen, fragte Margit gereizt, und in ihrer Gespanntheit auf den Ausgang der Geschichte drückte sie die Nockerlnschüssel noch fester an sich.
Nach Pfeilen ist er gezogen, wiederholte Gottlieb.
Und wo soll denn das sein, von so einer Stadt habe ich noch nie gehört.
Kann dir das nach so vielen Jahren nicht gleich sein, sagte Gottlieb und schloss langsam das Buch.
Viel wichtiger ist, dass die Juden dort den Rabbi als Bettler verkleideten, und so lebte er unter ihnen bis an sein Lebensende und wurde verehrt.
Margit lachte erleichtert auf, und Gottlieb lachte mit. Was in ihrem Leben eine solche Ausnahme war, dass sie eine Weile miteinander lachten, ja, die Lust am gemeinsamen Lachen ließ sie richtig wiehern. Dass die Soldaten des Grafen in der Stadt Cleve die Synagoge und die Häuser des Ghettos anzündeten, das verschwieg Gottlieb jetzt lieber. Und dass sie jeden Juden über die Klinge springen ließen, wo immer sie einen fanden.
Jüngstes Gericht
Zum Südtor, kam es aus dem Lautsprecher, die gewohnte frühmorgendliche Musik unterbrechend.
Kammer, zum Südtor.
Man hätte nicht sagen können, dass er seine Lage nicht richtig einschätzte. Wer zum Südtor gerufen wurde, den räumte man ein für alle Mal aus dem Weg.
Langsam floss die Niers.
Seiner Veranlagung nach war er jemand, der selten dachte, keine Lösungen oder Auswege finden zu können. Er atmete schwerer, beziehungsweise er hatte das Gefühl, er müsse mit seinem schwer gewordenen Körper an die Luft hinaus. Dieses eine Mal gab es keinen Ausweg. Er würde nicht davonkommen. Seit Tagen rechnete er damit, dass ihn die träge Strömung des Wassers mitstrudeln würde. Man hörte die Schüsse vom Fluss her, und noch gut, wenn sie für jemanden Munition vergeudeten. Es gab aber einen kleinen, flüchtigen Augenblick, in dem er doch noch hoffte. Dieser Mann, den er mehr als sein Leben liebte, mehr als seine längst vergessene Frau, mehr als seine Gelegenheitsgeliebten, in diesem langen Augenblick erinnerte er sich an die alle gleichzeitig, mehr als an seine Kinder, dieser Mann stand da, kaum zwei Schritte entfernt, am dunkelbraunen, leeren Tisch des Blockältesten im harten Licht der Lampe. Ein bleicher, zarter junger Mann, aber stark und agil, mit einem vor Draufgängertum leicht gekrümmten Rücken, einer, dem sozusagen alles erlaubt war; er brauchte nicht kahl geschoren herumzulaufen wie die anderen. Auf seinem wohlgeformten Schädel saß wirr gekräuseltes, volles Haar mit goldrotem Schimmer.
Mindestens einmal in der Woche wurde er für Sonderaufgaben geholt. Kleider sortieren für die Wäscherei, was meistens auch wirklich Kleidersortieren und Stapeln bedeutete, hin und wieder aber auch anderes. Im Lager nahm man das wahr, spezielle Beziehungen hatten ihren geschäftlichen Wert. Eisele, ein stets fesch angezogener, sehr unbarmherziger Mann, Adjutant des Lagerkommandanten, leitete die Arbeiten persönlich. Um diese Zeit war es draußen noch dunkel. Wenn der Lautsprecher schwieg, war das starke Artilleriefeuer zu hören. Der Kanonenofen glühte rot. Auf den kalten, in Vierecke
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