Parallelgeschichten
dann nicht auch zurück. Haben Sie denn keine Hände, kreischte sie weinerlich. Muss ich denn alles machen.
Manchmal weinte sie wegen des Hockers, trug ihn aber nie selbst zurück.
Jetzt ließ sie sich gebannt darauf nieder.
Auf Gottliebs Veranda stand nichts anderes als diese beiden Hocker.
Wenn Sie ihn nicht zurücktragen, erwarten Sie nicht, dass ich ihn zurücktrage.
Nie, verstehen Sie, niemals.
Würde etwa der Ehering von Ihrer geehrten Hand fallen.
Sie sind ein Gemeiner, ein Niederträchtiger, nicht einmal Ihren Ehering tragen Sie, damit Sie einer jeden schöntun können.
Das letzte Mal hatte ihr über alles geliebter Vater ihr etwas erzählt. Sie setzte sich nicht ganz auf den Hocker, nur auf die Kante, sie fürchtete, dass dieser Unglücksmensch, dieser Schamlose, dieser Ausgepichte, dieser Gemeine sie diesmal auf diese Art hereinlegen würde. Sie mit Vorlesen hereinlegen, der ist zu allem fähig. Etwas aus dem harmlosen Buch herauslesen, das nicht darinsteht. Will ich gar nicht hören. Wegen seiner Bücher verachtete sie den Unglücksmenschen noch besonders. Sie reichen meinem geliebten Vater nicht einmal bis zur Ferse, hören Sie, Sie Unglücksmensch, ungebildet, unwissend wie Sie sind. Sie denken wohl, Sie können mit Ihren berühmten Büchern irgendwem irgendwas vormachen. Der ist was Besonderes, ein Gelehrter, werden die Menschen sagen, der hockt ja immer über seinen Büchern. Lächerlich. Ein Feldarbeiter isst nicht so viel, wie Sie in Ihren großen Bauch hineinstopfen. Schlafen, ja, das können Sie. Schnarchen, damit ich nicht schlafen kann. Sie schlafen wie ein Stein, und ich werfe mich die ganze Nacht auf dem Laken herum. Sie sind stumpf wie ein Stein. Versuchen Sie nur, Ihr Hirn mit den Büchern zu schärfen. Mich täuschen Sie nicht, glauben Sie das bloß nicht. Sie zieren sich mit Ihren Büchern und mit Ihrem großen Wissen, und unterdessen lassen Sie mir still Ihre Fürze los.
Wenn Sie’s wenigstens laut täten.
Die stinken so, dass ich lieber in der Tür stehen bleibe. Das ist Ihr großes Wissen, das können Sie, Fürze loslassen. Dass ich mein ganzes Leben lang das riechen muss, in meiner eigenen Wohnung. Ihren Gestank, Sie Schamloser, Niederträchtiger, Gemeiner, Schamloser. Sie sind kein Mensch. Ihr Gestank hat sich schon in die Wände hineingefressen, nicht einmal mehr das Glas kriege ich sauber. Alles Glas stinkt. Außer mir gibt es niemanden, der es mit Ihnen in der gleichen Wohnung aushalten würde, aber auch ich leide wie ein Hund.
Ich leide wegen Ihnen, verstehn Sie’s denn nicht, ich leide.
Wieso muss ich mit einem Wildfremden in solchem Leiden zusammenleben, sagen Sie mir das.
Es geschah aber, dass an einem Vorfrühlingstag abermals eine Botschaft an den Rabbi erging, las Gottlieb laut, als höre er nichts, er solle nach dem fernen Duseldorp gehen, wie Düsseldorf damals hieß. Vielleicht hörte er tatsächlich nichts. Der Herzog von Jülich, Jan Willem, hatte nämlich nach vielen Jahrzehnten der Kriegswirren seinen Hof hierher versetzt, und in Gottliebs Kopf entstand aufgrund des Gelesenen ein eigener kleiner Raum. Der Herzog wünschte erneut die Meinung des Rabbis zu hören, las Gottlieb, um die falschen Stimmen seiner Frau zu übertönen. Der Bote gab ihm auch gleich zur Kenntnis, in welcher Angelegenheit der mächtige Herr seinen Rat benötigte. So mochte er sich unterwegs die Antwort geruhsam überlegen. Auch der Bote war ein adeliger Herr, gewichtig, aber noch jung, mit flaumigem Kinn, und er beharrte darauf, sogleich zurückzureiten, waren doch Rhein und Maas schon über die Ufer getreten, von der Niers nicht zu reden, und es war zu befürchten, dass sie vor ihnen auf der Landstraße zusammenflossen. In strömendem Regen ritten sie zurück, und die sonst nicht länger als zwei Tage dauernde Reise dauerte jetzt wegen des Hochwassers fünf Tage. Auf den tief und schon unter Wasser liegenden Feldern, über die langsam die regenschweren Wolken hinwegzogen, mussten sie immer wieder nach trockenen Übergängen suchen. Sie verirrten sich mehrmals, mussten in unbekannten Herbergen übernachten, um ihre Pferde zu füttern und ein wenig ruhen zu lassen. Wasser überall, so weit das Auge reichte. Die Hufe der Pferde klatschten darin. Am Nachmittag des fünften Tags erreichten sie das Schloss von Duseldorp, gegen dessen mächtige Mauer im unbarmherzigen Wind der über die Ufer getretene Fluss anrannte. Der Beratung, zu der die wichtigsten Herren aus Jülich, Berg, Pfeilen,
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