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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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dachte. Der rebellische, grüblerische kleine Junge tat ihm wegen seines zukünftigen Lebens im Voraus leid. Als könnte sein eigenes Schicksal, das er jetzt glücklich den armseligen Überlebenden hinterließ, wenigstens bei jemand anderem seine Grausamkeiten fortsetzen.
    Dieses Kinderfleisch bleibt da, ihr gemeinsames Schicksal wird sich in ihm nach Belieben austoben können.
    Er wurde wahnsinnig hungrig beim Gedanken, dass er noch einmal Reishuhn essen könnte. Dass er diesem schutzlosen kleinen Kind sein Schicksal zusammen mit den Resten des Reishuhns weitergeben musste. Der Abfall des Blutzuckerspiegels nach der sexuellen Befriedigung brachte ihn darauf. Sich ernähren, noch einmal richtig fressen. So wie Ágost, der nach jeder lauten Befriedigung aufsteht, rasch etwas verschlingt, die Marmelade aus dem Glas frisst, widerwärtig sein wie er. Wenn Kristóf dieses Leben weiterleben sollte, würde sich seine infernalische Befriedigung, wie sie der Riese und sein schnurrbärtiger Gehilfe aus seinem abweisenden, gefühllosen Körper herausgekitzelt hatten, als höchst gefährlich erweisen, als Muster und Beispiel, dass er, jawohl, das suchen, es so machen musste.
    Jede Nacht würde er zu ihnen zurückkehren müssen. Wie zwei Märchenhelden, Schelme oder Strolche waren sie vor dem Eintreffen der Polizei verschwunden.
    Was sie suspekt machte. Hatten etwa sie den anderen die Polizei auf den Hals gehetzt, fragte er sich und wusste doch, dass er ohne sie nicht mehr leben konnte, nicht einmal, wenn sie Polizeispitzel waren.
    Dann hätte er sie vielleicht noch stärker begehrt.
    Noch ein paar Augenblicke, noch ein paar Meter, dann wird zum guten Glück Schluss sein mit dem skandalösen Gedanken, dass alles egal ist, dass sie mit ihm tun können, was sie wollen. Und doch hatte er sich gerade mit diesem Gedanken über das Schicksal erhoben, zum ersten Mal im Leben hatte er die schändlichen Freuden genossen und war trotzdem um die Schläge und die Razzia herumgekommen, auch darum, dass ihn seine Tante aus einem der Gefängnisse hätte herausholen müssen, eine entsetzliche Vorstellung.
    Es gibt keine Strafe, niemand würde ihn strafen. In der letzten Stunde seines Lebens war es am schönsten, er würde nicht gedemütigt werden. Sein Schicksal würde keine Zeit haben, neuerliche Strafen zu ersinnen und an ihm zu vollziehen. Der Tod wird keine Strafe für die unschuldige Lust sein, sondern das schönste Geschenk, eine große Zugabe, sagte er sich, und er hatte keine Angst, gar nicht, sondern liebte den Tod im Voraus, begehrte ihn voll und ganz. Begehrte nichts anderes. Er wenigstens wusste, wie fatal sich sein Schicksal während eines kurzen Lebens geirrt hatte. In einen anderen Körper hätte es ihn stecken sollen, er selbst war ja völlig unschuldig, von seinem Körper hatte er auch erfahren, wie glücklich andere Menschen mit ihren verfluchten Sünden sind, falls sie es wirklich sind.
    Oder was ist das für eine Hoffnung auf Glück, das sie verfolgen, wenn dieses Glück sie heimtückisch verlässt, wenn sie von ihm doch nicht lassen können und es auf geschwinden Beinen vor ihnen davonläuft. Sein Mund und seine Lippen waren trocken vor Durst, der Ekel schlug sich in seinen Mundwinkeln als schmerzende Wunde nieder, er machte seine Lippenränder rissig.
    Es war beängstigend, dass er diese Sache über sich und die anderen Männer zum ersten und letzten Mal in seinem Leben erfahren hatte. Sollen sie mit diesem Wissen eben auf der Welt bleiben, wenn sie wollen.
    Er trug den Geschmack und Geruch von Lippen, Gaumen, Zähnen, Speichel und dem Schwanz fremder Männer mit sich, auch das gehörte zu seinem nahen Tod, von dem ihn nur noch ein paar schmerzhafte Schritte trennten. Alles nahm er mit, teilte mit niemandem mehr, niemand ging ihn mehr etwas an. Die Vorstellung, dass es in der anderen Welt nichts gab, dem er entsagen müsste, ließ ihn, allem Ekel zum Trotz, die Küsse in seiner ausgetrockneten Mundhöhle zurückwünschen, ja, sie sollen ihn küssen, sollen ihre muskulöse Zunge in sie hereinstoßen, sie, irgendwer.
    Mehr noch als nach der dunklen Tiefe des wirbelnden Wassers, mehr noch als nach seiner vom aufgewühlten Schlamm seidigen Oberfläche sehnte er sich nach den vollen Lippen des schnurrbärtigen Mannes, dem fremden Geschmack von schwerem Schweiß, von gespritztem Wein und kleinem Pörkölt, dem von aufdringlichen Zigaretten. Soll er doch mit seinem stinkenden Mund sein restliches Leben zerküssen, zerficken. Alle

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