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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Anklatschen des Wassers unten an den Pfeilern.
    Du willst es besorgt kriegen, bitte sehr, kannste haben.
    Es war Sommer, eine gewöhnliche Morgendämmerung im Frühsommer, mit ihrem kühlen Dunst.
    Er zog das verletzte Bein nach.
    Das enge Hosenbein rieb an der feuchten Wunde, das am Eisenzaun aufgeschlagene Schienbein brannte, schmerzte.
    Er fürchtete, sie würden die festgenommenen Männer über diese Brücke abtransportieren und dabei auch ihn erwischen, es gab kein Versteck, er würde nicht fliehen können.
    Sein schwarzes Hemd und seine schwarze Hose, nass vom Urin fremder Männer, beschmutzt von ihrem Sperma, klebten ihm an Rücken, Brust, Hintern, Schenkeln, klebten fest, klebten an ihm wie eine schamglühende Haut.
    Er hatte sich kurz vor dem Polizeiansturm vom Steinboden hochgerappelt, aus der Nässe des überlaufenden Lavabos, der danebengeflossenen Pisse, wo sein befriedigt erschlaffter Körper von den Männern, die zuvor intensiv miteinander beschäftigt gewesen waren und sich dann über ihm befriedigt hatten, zugunsten anderer hochragender Schwänze eilig liegengelassen worden war. Wenn er die geometrische Mitte des zwischen die Insel und das Pester Ufer gespannten Brückenbogens erreichte, wo es ausgeschlossen war, im Fallen an der Brückenkonstruktion hängen zu bleiben oder unten gegen einen Pfeiler zu prallen, dann würde er es tun, das hatte er vor.
    Das war der große Plan.
    Fallen ja, aber bloß nicht zerschlagen werden.
    Vor dem Polizeiansturm hatte das persönliche Schicksal ihm noch Zeit gegeben, zum Wasserhahn zu wanken, den man hinter der aufgesperrten Eisentür der teerdunklen öffentlichen Bedürfnisanstalt vermuten konnte.
    Diese offene Tür war sein Glück gewesen.
    Sie stand wohl gar nicht zufällig offen, sondern hatte sicher den Zweck, alle in diese Falle hineinmarschieren zu lassen.
    Er hatte sich nur gerade ein bisschen Wasser ins Gesicht spritzen können, um sich wenigstens den Schmutz fremder Befriedigung vom Gesicht zu waschen und aus dem Mund zu spülen, bevor er nach Hause ging. Da hatte der Einsatzwagen mit seinem Motorenlärm, seinen Scheinwerfern und dem Knirschen seiner Räder schon die Stille der Nacht aufgerissen, schon wurde geschrien.
    Alle die brüllenden, jammernden Männer mussten zusammengetrieben und in den etwas weiter entfernt wartenden Gefangenentransporter hineingeprügelt werden, keine leichte Aufgabe, schon wegen der plötzlich tobenden Wut nicht, die nicht ohne Blutvergießen abging.
    Hinter die offene Tür gepresst war er der Gefahr entgangen. Doch bevor er es jetzt tun würde, wollte er seine urinnasse, von menschlichen Ausscheidungen beschmutzte Kleidung abwerfen.
    Sie zusammenrollen und mit den Schuhen ein Bündel daraus machen, um zuerst seine Schande in die Tiefe zu werfen.
    Das Wasser sollte sie schlucken, sie unter seiner mächtigen Strömung begraben.
    Nackt würde er seinem Tod gegenüberstehen, damit es kein Zurück gab, keine Möglichkeit, es sich im letzten Augenblick anders zu überlegen.
    Es gab nichts mehr zu überlegen.
    Allerdings kam ihm Ilonas Reishuhn in den Sinn, die im Topf auf dem Herd wartenden Reste, schön saftig und gut gewürzt, außer Ágost war unerwartet nach Hause gekommen und hatte es aufgegessen. In diesem vorletzten Augenblick wäre Kristóf bereit gewesen, sogar ihn gern zu mögen, den er wegen seiner egoistischen Verrücktheiten verachtete, den er nicht ausstehen konnte und der ihm jeden leckeren Bissen bedenkenlos wegfraß. Ganz kurz vor seinem wohlüberlegten Tod stellte sich wieder die körperliche Befremdung ein, die er wegen der gemeinsamen familiären Züge in Gegenwart seines Cousins verspürte, die erschütternde Gemütlichkeit des verwandtschaftlichen Befremdetseins. Aber Ágost kam in dieser Nacht nicht unerwartet nach Hause, um die Reste aufzuessen, sondern er schlief auf dem Bauch, das eine Knie fast bis zum Kinn hochgezogen, friedlich und ohne Decke in dem Dienstbotenzimmer im sechsten Stock.
    Eine Haaresbreite vom Tod entfernt hatte Kristóf plötzlich Lust, dieses lähmende zwischenmenschliche Befremden zu verstehen, es vielleicht sogar als etwas Eigenes zu schätzen. Aber er verstand höchstens, dass man nicht einmal mit der Befremdung vor dem eigenen Körper allein ist, auch die tritt in verwandtschaftlichen Systemen gehäuft auf. Ilonas Sommersprossen kamen ihm in den Sinn, ihr bleicher kleiner Junge, dem ein Los bevorstand, wie es ihm selbst zuteilgeworden war. Das war es, was er von dem Kleinen

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