Parallelgeschichten
näher war und man hier der Razzia am ehesten auswich.
Wem das nicht gelungen war, hatte gleich die Gummiknüppel zu spüren bekommen. Auf dem Rücken, auf dem Kopf, auf den schützend vor dem Gesicht erhobenen Armen. Kristóf konnte nicht wissen, ob nicht gerade weitere Polizeieinheiten das Innere der Insel durchkämmten, den Weg durfte er nicht nehmen. Und wenn er schon solches Glück hatte, ein so unverschämtes Glück, den vorrückenden Ring der Polizisten durchbrochen zu haben, war das Risiko, wieder in die Falle zu geraten, auf dieser Brücke am geringsten.
In seinem Zustand war es ja auch sonst nicht ratsam, jemandem zu begegnen.
Auf der Margaretenbrücke oder dem Leopoldring wäre das eher der Fall gewesen.
Noch zwanzig Minuten, und in der Stadt würde allmählich der Verkehr beginnen. In dem Zustand eine Straßenbahn zu besteigen kam auch nicht in Frage.
Aber er floh auch deshalb über diese Brücke, weil man sich von hier am leichtesten in die Tiefe stürzen konnte. Bevor er jemandem begegnete. Man muss sich bloß übers Geländer schwingen.
Als wäre sein bisheriges Leben nur der Vorlauf gewesen zu diesem schönen Albtraum, der ihn, siehe da, im Wachzustand überrascht hatte.
Unter den Schlägen der Gummiknüppel waren mehrere ins geteerte Pissoir herein gekracht, schreiend, auch da wurden sie geschlagen, sie jammerten und weinten, die Polizisten brüllten.
Durch die offene Tür leuchtete der Scheinwerfer des Einsatzwagens herein.
Möge er die seelische Kraft dazu haben.
Jetzt konnte er es wirklich ausführen, in diesem letzten und schon lange in ihm reifenden Plan schlummerten alle seine großen Hoffnungen, er hatte ihn bis ins kleinste Detail ausgearbeitet.
Im Dämmer der Morgenfrühe, das tiefe Grau der Welt war noch nicht aufgehellt, rannte er mutterseelenallein über die Brücke. Keuchend auch vor körperlicher Befriedigung, was sein Moralgefühl noch tiefer demütigte. Er lief mit seiner Freude davon. Floh vor den Polizisten, die ihn nicht verfolgten. Wahrscheinlich hatten die nicht einmal gemerkt, dass jemand entkommen war, oder wenn doch, waren sie froh, einen verdammten Schwulen weniger auf der Wache zu haben.
Auf der Brücke blieb er ein erstes Mal stehen und dachte an die, die vor ihm hier in der eisigen Strömung umgekommen waren, aber es dämmerte ihm, dass das infam war, dass er das nicht denken durfte, dann blickte er zur Insel zurück, aber das dichte Laub verdeckte alles.
Es war schon Sommer, mit allen seinen lebendigen, belebenden Gerüchen. Der Hain mit den jungen Kastanien verschluckte die Hilferufe, oder es hatte gar keine Rufe gegeben. So schön und still ist die Sommermorgenfrühe. Gleichgültig glänzte das Gaslaternenlicht durch das Laub. Als wäre in dieser Nacht nichts geschehen, zwitscherten laut die ersten Vögel. Er schleppte sich eher hin, konnte in seinen spitzen schwarzen Schuhen nicht wirklich laufen, seine nassen Socken schmatzten darin, er war nachts in mehrere Pfützen getreten.
Kein Auto, keine Straßenbahn, nichts regte sich auf dem grauen Asphalt der Brücke.
Über dem Angyalföld zeigte sich die Morgenröte, am Rand der Wolken, in die sich dunkler Fabrikrauch mischte. Es schien unwahrscheinlich, hatte etwas Unwahrscheinliches, dass er es fertiggebracht hatte, wirklich fertiggebracht, durch das blendende Licht hindurch aus dem Geschrei zu fliehen, aus den dumpf hallenden Schlägen, dem flehentlichen Gejammer und den Rufen, dass man ihn nicht mitgenommen, ihn mit den niedersausenden Knüppeln nicht erwischt hatte. Hier oben brannten zwar noch die Bogenlampen über dem Brückenkörper, aber der freie Himmel mit den Vögeln wurde hell. Träge kreischten die Möwen, in raschem Flug pfiffen die Uferschwalben. Er hörte noch das Aufeinanderprallen der Körper im starken Lichtstrahl, das Knallen der Schläge, sein Bewusstsein hatte das alles ordentlich registriert, das anschauliche Bild der zum Schlagen und zur Verteidigung erhobenen Arme, das vergebliche Flehen, die Flüche, das entsetzte Kreischen, bitte mir nichts tun, Genosse Polizist, tun Sie mir nichts, mir nicht, bitte, der Ton, wenn Kleider zerreißen, die blinden Flüche, das Knacken in den Knochen der zum Schutz erhobenen Arme, er trug im Kopf Bilder und Töne von Entsetzen und Brutalität, die dem Verstand und dem Fassungsvermögen widersprechen, ans Licht hinaus.
Wartet nur, jetzt kriegt ihr was ab, ihr dreckigen Schwulen.
In der besonderen Stille hörte man das Wirbeln und schwerfällige
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