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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Reste noch auffressen, mit Brot den Saft vom Topfboden tunken, jedes Knöchelchen abnagen, den letzten kleinen Knorpel knacken.
    Dieser Jemand, der vorläufig noch er war, nahm in den Poren den verdorbenen Geruch von Teer und Urin mit, auf der Haut, auf dem Flaum der Nasenlöcher, an der feuchten Kleidung.
    Nur noch diese paar Augenblicke sind übrig, nur bis dorthin, bis zur Brückenmitte muss er mit dieser elenden Kreatur gelangen. Ein sichereres Wissen kann und wird es nicht geben.
    Dazu der durchdringende, schlammdurchtränkte Geruch des Wassers, er vermengte sich mit dem bitteren Rauch der nahen Fabriken, neben dem süßen Hauch des Jasmins.
    Auf seinem borstigen blonden Haar trocknete fremdes Sperma.
    Während sie im selben Moment immer wieder ansetzte, einmal, zweimal, fünfmal, weil sie dieses verdammte Fis dieses eine Mal wirklich nicht schmieren wollte, sondern dem Sinn und der stilistischen Funktion der Phrase gemäß richtig setzen, es so sachlich behandeln wie die Margit Huber das jeweils verlangte, dieses Médilein, und warum sollte sie es auch nicht zu behandeln wissen wie ein Techniker, der ja nicht blöd ist, sondern weiß, wenn ich hier die Schraube anziehe, muss ich dort nachgeben, aber allen ihren Absichten zum Trotz zuckten ihre Schultern vor zurückgehaltenem Schluchzen.
    Viele Qualen und viele Glücksgefühle kreuzten sich in diesem besonderen Augenblick.
    Als Kristóf auf der Brücke wieder zu laufen begann. Mit seinen herzig kindlichen Vorstellungen vom Tod rannte er vor Ilonas Reishuhn und ihren unschuldigen Sommersprossen davon.
    Die hätten ihn gern seinem Leben und seiner Zukunft erhalten.
    Er war der Einzige, der mit seinen Schritten auf dem dumpf hallenden Gehsteig der Brücke Lärm machen konnte, dennoch nahm er das hinter ihm näher kommende Getrappel spät wahr. Trotz allem beneidete er Ilonas blässliches Kind im Voraus um sein schreckliches Los. So sehr war er bereit, sich übers Geländer zu schwingen. Das leise Klopfen von Krallen erreichte sein Bewusstsein zuerst. Sie klopften schneller als er rennen konnte. Sein Herz setzte aus, der schwarze Hund wird ihn einholen, sein schwarzer Hund.
    Er hatte sich befreit, war ausgebrochen, oder der Nachtportier war doch auf das laut widerhallende Gebell aufmerksam geworden, wie es so ein eingesperrter Köter veranstaltet. Jetzt kam ihm der Hund auf der Brücke nach, damit er seinetwegen weiterleben musste.
    Nein, das doch nicht.
    Er musste sich etwas einfallen lassen, noch schneller konnte er ja nicht laufen.
    Wie jemand, der nicht entscheiden kann, wo in Raum und Zeit er unterwegs ist, was vorher, was nachher geschieht.
    Oh Gott, sie rang mit sich, da mache ich diesem süßen, lieben Mann noch Vorwürfe, dass er in mir drin arbeitet wie ein dummer kleiner Techniker.
    Herzlos.
    Unverschämt, wie ich bin.
    Wieder redet Margit Huber aus mir.
    So weit war also das Médilein mit seinen heimtückisch skandierten Worten bei ihr vorgedrungen, sie war überrascht von dieser Entdeckung.
    Techniker, was rede ich da zusammen.
    Die wird mir noch vorschreiben, wie ich mit meinem Liebhaber reden soll.
    Das fehlte ja noch.
    Als habe sie plötzlich die Schönheit und Schrecklichkeit der zwischenmenschlichen Osmosen, des Identitätstausches und der wechselseitigen Zersetzung erkannt.
    Diese Frau hatte sich mit ihrem ganzen Wesen in ihr eingenistet, nicht nur mit ihren blöden Gesangsstunden, sondern mit allen ihren Sätzen und Gedanken. Am Ende schreibt wirklich sie mir vor, was ich in welcher Situation zu wem sagen soll. Als hätte die Médi mit ihrem unverbrüchlichen Lächeln Gyöngyvér sich selbst entfremdet. Soll doch der Teufel für sie glücklich sein, soll doch der strahlen, ich für meinen Teil brauche einen Mann und nicht ihr künstlerisches Gestrahle. Oder habe ich mir Margits Wesen samt ihrem Lächeln zu eigen gemacht, habe ich sie ausgebeutet, wobei ich allerdings immer noch nicht weiß, wie so ein Dauerlächeln funktioniert. Ein solches, in tausendfachen Schattierungen und Graden spielendes Lächeln, das eigentlich unverbindlich war und Gyöngyvér Mózes’ schweres, dunkles Leben nicht berücksichtigte, höchstens ihr Geld. Und dann soll ich für mein eigenes Geld auch noch glücklich sein für sie. Sag doch das zu deiner Mutter, dieser Schwäbin. Gyöngyvér konnte nicht begreifen, wo die Médi die Kraft für ihr beständiges Lächeln hernahm. Sie ahmte sie nach und begriff dabei bis zu einem gewissen Grad, dass in dem luftig

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