Parallelgeschichten
mich gebeten, nicht vor dem Lokal auf sie zu warten.
Während wir sprachen, hörte man zwischendurch aus der Kirche die Orgel. Und der Wind heulte immer wieder seine Noten.
Sie hätte doch wirklich sagen können, ich solle überhaupt nicht auf sie warten.
Wieso hätte sie das sagen sollen, wenn sie es doch auch wollte.
Wollte oder wolle, fragte ich aggressiv.
Wolle, sagte sie unschuldig.
Ihre sanfte Schamlosigkeit, das volle, große Strahlen ihrer Augen überwältigten mich so, dass ich noch wütender wurde auf sie, oder auf mich. Wie sollte ich mich vor ihr schützen. Ich fragte, warum sie nicht gesagt habe, ich solle nicht jetzt auf sie warten, sondern morgen, ein andermal, übermorgen, wann immer, wenn sie nicht in die Kirche müsse und ihr Mann sie nicht abholen komme.
Wenn sie Nachmittagsdienst habe, komme ihr Mann sie immer abholen.
Das hätte ich aber noch nie gesehen.
Weil sie sich immer hier trafen. Nicht einmal das möchte sie der Chefin auf die Nase binden, dass ihr Mann oder sonst jemand sie abholen kommt. Ihr Bruder sei in dieser Kirche Kaplan.
Dann bedeute das aber doch, oder sie wolle damit doch sagen, dass das Ganze keinen Sinn hat, ganz hoffnungslos ist.
Selbst wenn ich auf sie warte.
Wenn es das bedeutete, hätte sie gesagt, dass ich nicht auf sie warten solle, sondern mich zum Teufel scheren.
Aber sie habe es nicht gesagt.
Dann hätte sie mir aber sagen können, ich solle auf sie warten, wenn sie Vormittagsdienst habe, dann müsse sie auch nicht zur Messe, und ihr Mann würde sie nicht abholen.
Offenbar käme ich immer mit der gleichen Leier. Das hätte ich schon einmal gesagt, es sei langweilig.
Ob ich denn zu ihrer Unterhaltung da sei.
Auf die Art brodelte es in mir, auf die Art trotzte ich, auch in meinen eigenen Augen unglaubwürdig und lächerlich, als suchte ich einen kleinen Spalt, wo ich dennoch eindringen konnte, womit ich mich erst recht lächerlich gemacht hätte, aber eigentlich wollte ich mit diesen Fragen Zeit gewinnen, um den Rückzug doch halbwegs würdig antreten zu können.
Also bitte sehr, so etwas finde sie schauderhaft, sie denke nicht im Traum daran, so etwas zu sagen. Oder darum zu bitten. Sie hätte es sagen können, aber es falle ihr gar nicht ein, sich in so dunkle kleine Lügen zu verwickeln oder andere hineinzuverwickeln. Nein, diese Form der Heimlichtuerei verachte sie von Herzen, ja, von Herzen. Wahrscheinlich verstehe ich sie falsch. Sie spreche gern ganz offen. Gerade jetzt habe sie gesagt, warum sie im Lokal nichts besprechen könne. Aber vor ihrem Mann habe sie keine Geheimnisse, warum sollte sie welche haben. Sie verstehe nicht, warum ich das nicht verstehe.
Weil es nicht zu verstehen ist.
Was ich denn nicht verstehe.
Oder ich verstehe, aber wolle es nicht verstehen. Oder fürchte, sie misszuverstehen.
Sie müsse jetzt aber wirklich in die Kirche, die seien ja schon fast bei der Wandlung, aber es wäre doch gut, wenn ich vorher noch sagte, was ich nicht verstehen wolle, und warum nicht.
Ich wolle sie nicht verletzen. Sie solle ruhig hineingehen, und ich gehe brav weg.
Nein, das solle ich jetzt nicht.
Nicht jetzt würde ich weggehen, sondern wenn sie schon drinnen sei.
Sie bitte mich trotzdem, nicht wegzugehen.
Sie solle das mir überlassen.
Na gut, dann gehe sie nicht hinein.
Auch dann möchte ich sie in keiner Weise verletzen.
Sie wisse wirklich nicht, womit ich sie verletzen könnte.
Zum Beispiel damit, dass ich weggehe. Oder wenn ich nicht sage, was ich denke. Das seien schon zwei Dinge, mit denen ich sie verletzen könnte. Jeden könne man verletzen.
Meine eigenen Worte machten mir klar, dass diese Frau spielte und auch mir eine Rolle zugedacht hatte. Eine mir völlig unbekannte Rolle, die mich äußerst interessierte.
Daraus könne ich wenigstens ersehen, wie schutzlos sie sei, und zwar genau solchen Dingen gegenüber. Aber um den Preis von Lügen und Selbsttäuschungen möchte sie sich nicht schützen. Sie möge es nicht, wenn man ihr etwas verheimliche, sie selbst verheimliche nichts. Und sie habe es nicht gern, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie das wolle, auch wenn sie ziemlich tolerant sei.
Ich sagte, mir gehe es genau gleich.
Dann sind es schon zwei, denen es so geht.
Ich sagte, das klinge nicht sehr gut.
Was klinge nicht gut, und was ich dagegen habe, und was ich überhaupt wolle.
Ich sagte, das sei sehr einfach. Entweder würde ich jetzt gleich hier weggehen, oder ich wolle verstehen, warum ich hierherkommen
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