Parallelgeschichten
kann nicht einmal sagen, dass mich nicht interessierte, was sie zu sagen hatte, die Neugier trug mich fort und sogar mit ihrer unglücklichen Bezeichnung hatte sie mich mitgezogen, aber während sie redete, ging mein Denken doch in eine andere Richtung und ich schien ihre Wörter im Einzelnen zu verpassen. Mein Denken war damit beschäftigt herauszufinden, welche Anordnung für meine Hände und Beine besser und bequemer sein könnte. Und da ich mit meinen Gliedern nichts anzufangen wusste, bemühte sich mein Denken vergeblich um das Gespräch, das wir schon des Anstands halber nicht einfach abstellen konnten. Je weiter sie mich mit ihren Wörtern mitzog, umso mehr musste ich daran denken, dass ich mit meiner Hand etwas nicht getan hatte, das natürlicher und vor allem notwendiger gewesen wäre als alle diese unnötigen, verlogenen, verletzenden Sätze. Aber weder der Anstand noch mein Denken durften meinen Händen erlauben, etwas zu tun, ich konnte doch nicht jemanden berühren, der gleich über die Juden herzieht und den ich nicht kenne. Vielleicht sollte das Reden dazu dienen, dass ich sie kennenlernte. Ich aber wollte nicht, dass sie redete, ich musste sie unterbrechen. Nicht nur musste ich mich aus der gefährlichen Strömung meiner Lüge herauskämpfen, sondern ich fürchtete wirklich, sie würde mich mit ihren Worten mitreißen, so dass ich etwas verpassen würde, vielleicht schon verpasst hatte. Ich wollte zu unserem Ausgangspunkt zurück, als meine Hände und Füße noch nicht zu solcher Untätigkeit verurteilt gewesen waren, sondern mich ihr nachlaufen ließen beziehungsweise zitterten. Es war vielleicht gar kein Punkt, kein erobertes Gebiet, das ich nicht verlieren durfte, sondern vielleicht eher Zeit: sie, die Zeit, wäre mein gefährdeter Besitz. Als hätten wir ein goldenes Zeitalter schon hinter uns, und als würde ich, wenn ich ihr erlaubte, mich mit ihren Wörtern mitzuziehen, eine blasse silberne Zeit akzeptieren. Als wäre zu jener früheren Zeit noch möglich gewesen, dass wir einander das Gesicht mit den Händen berührten, und jetzt nicht mehr.
Ich fragte, was sie getan hätte, wenn ihr ein Fremder gefolgt wäre.
Sie habe gesehen, dass ich es war.
Wie hatte sie das gesehen, wann.
Ich sah ihr an, dass sie lustlos antwortete.
Vielleicht wollte sie sich lieber mit der Rede weiterstrudeln lassen.
Ihr Blick aber schweifte anderswohin, um meine Augen herum, glitt über meinen Mund, berührte immer wieder meine Stirn, als suche er dort etwas, er ruhte darauf, und das gefiel mir sehr. Vielleicht wollte sie weiterreden, um das Gesuchte zu finden und nicht zärtlich oder grob über mein Stoppelhaar fahren zu müssen. Ich war sehr neugierig auf diese Berührung, sehnte mich wieder einfach danach. Wir standen uns ganz nahe gegenüber, sie blickte von unten auf die Stelle, an die sie nicht griff.
Sie habe mich bemerkt, antwortete sie lustlos, als sie das Lokal schlossen.
Dann habe ich nicht bemerkt, dass sie mich bemerkt habe.
Sie mache es eben geschickter als ich, sie starre nicht so auffällig und bedenkenlos und sehe doch mehr als ich.
Jetzt müsse sie sich aber wirklich beeilen.
Wohin denn um diese Zeit.
Wenn ich wolle, könne ich ja auf sie warten, sie wies auf die Kirche, da gehe sie jetzt hinein. Dann komme ihr Mann sie abholen.
Das waren zwei Keulenschläge aufs Mal, was man mir wohl auch gleich ansah.
Sie musste unwillkürlich lachen, als verschaffe sie sich für die Beleidigung von vorhin Genugtuung, auch wenn sie sich ein wenig schämte. Gleichzeitig schreckte ich aus einer anderen, tieferen Benommenheit hoch, einer Benommenheit, in der sie nicht mehr vorhanden war. Und fiel in die von ihr ausgelöste ohnmächtige Wut, was sie unschuldig und fast kühl beobachtete. Oder worüber sie sich freute. Das war ihre Rache. Ich verstand nichts, absolut nichts. Ich verstand nicht, wie ich in diese Situation hatte geraten können und wusste nicht, wie ich hier rasch wegkonnte. Was wollte sie, was konnte ich von ihr wollen. Wieso war ich immer noch so darauf bedacht, meiner Wut keinen freien Lauf zu lassen.Wieso reden wir, worüber, was habe ich falsch gemacht, womit, wieso existiere ich überhaupt auf dieser Welt.
Warum sie dann sage, ich solle auf sie warten.
Ich hörte, dass sich unterdrückte, vorwurfsvolle Schreie in meine Stimme mischten; ich konnte nichts dagegen machen, und sogleich wurde ihre Miene eiskalt.
Nein, sie habe überhaupt nicht gesagt, ich solle auf sie warten. Sondern habe
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