Parallelgeschichten
sehr; der Wind stieß ihn in mich hinein und trug ihn wieder fort.
Sie hatte auf alles eine Erwiderung; das durfte ich nicht durchgehen lassen, aber auch sie ließ nichts durchgehen.
Sie lachte erneut auf, mein Gesicht wirkte wahrscheinlich wieder nur lächerlich. Ich spürte auch, dass eine lange Zeit verging, auch wenn es eine andere Zeitrechnung gab, in der sich keiner unserer Augenblicke rundete und sich alles nur an der Oberfläche berühren ließ, hastig und heftig.
Als wäre es gerade wegen der Wörter, dass wir nichts zu Ende sagten, dass wir alles nur antippten.
Sie machte ein Zeichen, ich solle hinter mich schauen.
Ein Auto stand am Gehsteigrand. Ich hatte es gehört, als es hinter mir angehalten hatte.
Sie sagte, ich müsse jetzt entscheiden, ob ich hierblieb. Oder ob ich mit ihnen ging.
Ich schaute sie an, schaute dann das seltsame, glänzende, aus einer anderen Welt, von vor dem Krieg, stammende Automobil an. Und konnte nicht entscheiden, was ich jetzt tun sollte. Ich war wütend, kochte innerlich, weil sie mich zu etwas Sinnlosem zwang. Der am Steuer sitzende Umriss rührte sich nicht, als würde er uns gar nicht beachten. Das Gesicht war nicht zu sehen, wahrscheinlich saß er im Mantel da, vielleicht in einem Ledermantel, und ein paar Augenblicke lang blieb er ein belangloser Schatten. Auf der Windschutzscheibe bewegten sich die Scheibenwischer regelmäßig hin und her. Dann schien er doch die Geduld zu verlieren, schließlich wartete er wohl schon eine Weile auf uns. Er beugte sich über den Beifahrersitz, öffnete die Wagentür, besser, stieß sie auf; eine siedende Bewegung. Die Leute begannen aus der Kirche zu strömen, die Orgel gab ihnen schnaufend und schmetternd das Geleit.
Ich sagte, es tue mir leid, aber ich komme nicht mit. Nein, ich komme nicht. Als wäre mir meine Selbstachtung zwar wichtiger, aber wenn ich es nur einmal sagte, könnte ich mich von meiner eigenen Absicht nicht überzeugen.
Wann sie mich dann sehen würde, fragte sie und verzog keine Miene. Weder Ärger noch Bedauern. Hochgezogene, sich in die Stirn zeichnende Augenbrauen. Vielleicht warteten ihre großen Augen, ihre geschürzten Lippen auf meine Antwort. Aber es schien alles einerlei, wie immer meine Antwort ausfallen mochte, es würde sie nicht wesentlich berühren. Ein Gesicht, das aus großen, weißen, reglosen und gleichgültigen Flächen bestand.
Ich fand sie so schön, dass es wehtat, es auszusprechen, dennoch sagte ich, ich weiß nicht, wann wir uns sehen können.
In dem Augenblick hupte ihr Mann.
Er tippte die Hupe nur an, es war nur ein erneutes Signal, aber auch sie schien jetzt die Geduld zu verlieren. Die gleichgültigen Flächen ihres Gesichts verzerrten sich zornig, sie zog die Schultern ein wenig hoch, wie zum Angriff. Sie schüttelte sich, wurde hässlich, rief mir ins Gesicht, ich solle doch nicht so scheißblöd tun, warum ich wegen einer solchen Lappalie so scheißblöd tue.
Jetzt war die Reihe an mir zu lachen. Ich sagte, na schön, tun wir eben nicht scheißblöd. Aber es war leichter gesagt, als ihr zu folgen und den unerwarteten Anforderungen der neuen Situation gerecht zu werden.
Der schöne Racheengel
Freiherr von der Schuer hatte als Familienoberhaupt den üblichen Platz am großen ovalen Tisch eingenommen, Gräfin Auenberg ihm gegenüber, so wie es die Dame des Hauses angeordnet hatte. Sie saßen im kleineren, für den täglichen Gebrauch bestimmten Esszimmer, dessen Wände eine dunkelgrüne, goldbedruckte Seidentapete deckte, mit der auch die weiß lackierten Möbel bezogen waren, die Flügeltür und die beiden großen Fenster zur Terrasse standen wegen der Sommerhitze offen.
Man blickte durch eine Zimmerflucht.
Das Gespräch begann überaus höflich, wenn nicht sogar kühl, ein wenig zwischen zusammengepressten Zähnen heraus, als ginge es darum, die gegenseitige Antipathie in Schach zu halten. Obwohl schon vom ersten Wort an eine Dringlichkeit herrschte, sie konnten es kaum abwarten, bis der andere ausgeredet hatte. Als verlören sie an der neutralen Oberfläche ihrer Höflichkeit zu viel Zeit. Während sich in der Tiefe, unter den Förmlichkeiten, allerlei regte, flinke Fische, sacht schaukelnde Wasserpflanzen, und so begannen sie bald, danach zu tauchen, ohne den immer betörteren Blick voneinander abzuwenden.
Nachdem die kalte, mit Sahne versetzte Fruchtsuppe in ausladenden Rosenthaltassen aufgetragen worden war und sich die Dienstmädchen schweigend hinausbegeben hatten,
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