Parallelgeschichten
besser in Acht nahm, trotzdem störte seine riesige Nase nicht mehr, im Gegenteil, obwohl die sich ihr tatsächlich so drohend entgegenreckte, wie sie es zuvor Karla geklagt hatte.
Aber es kam ihr gar nicht in den Sinn, dass ihre Treulosigkeit skandalös sein könnte oder dass sie in der Liebe zu ihrem Verlobten schamlos ins Wanken geraten war, denn plötzlich achtete sie nur auf die vielen Einzelheiten. Es konnte ihr gar nicht in den Sinn kommen, im Gegenteil.
Er saß ihr ja da gegenüber.
Hätte sie die beiden Männer nebeneinander gesehen, auch dann hätte sie die zwei Gesichter und vor allem die Gestalten verwechselt.
Das war es, was sie glücklich machte, diese zärtliche, unantastbare Verwechslung, das überwältigende Erkennen. Sie sprach mit flinker Zunge zu ihm. Als spräche sie zu einer Gottheit. Ihm erzählte sie es, mit ihrem stark wienerisch gefärbten, höfischen Akzent, wobei sie selbst kaum glauben konnte, was sie da erlebte; von dieser unerlaubten Anziehung und diesem Erkennen berichtete sie der Gottheit, sehr laut, um sich abzulenken. Das ist eine Gottheit, kein Mensch. Nicht ein einziges Mal wandte sie sich an Baronin Thum, die hartnäckig daran festhielt, auch nur mit von der Schuer zu sprechen, und genauso wenig an die Dame des Hauses, die mit ebenfalls lautem, arhythmischem Reden von allen vielleicht am einsamsten blieb. Schon gestern Vormittag, von der Schuer könne es sich gar nicht vorstellen, als sie unter der Führung der reizenden Emmy Göring, sie lachte, ganz reizend, sie lachte wieder, unter Emmy Görings reizender Führung in Arno Brekers hochinteressantem Atelier gewesen sei, hier am Käuzchensteig, hochinteressant, vielleicht gar nicht weit von hier, wenn sie sich nicht täusche, bestimmt kenne er ihn, wunderbar, er müsse ihn kennenlernen, ein wunderbarer Künstler, sei sie in einem verlassenen Winkel auf eine bewundernswerte Büste aufmerksam geworden, auf so einem Postament, sie hätte trotz allem nicht gesagt, dass sie, der obszönen und brutalen Muskelpakete überdrüssig, in dem ganzen Atelier nur diese glatten, nackten Männerschultern eindrücklich und beruhigend gefunden hatte. Im ersten Augenblick habe sie gemeint, sie habe ihren Augen nicht getraut, der Künstler habe da ihren Verlobten so liebevoll abgebildet. Denn sie könne es nicht anders sagen, liebevoll, auch wenn sie von einer solchen Büste nichts gewusst habe. Sie sprach aber nicht aus, wie denn auch, dass sie die Schultern ihres Verlobten noch nie nackt gesehen hatte, wann denn auch. Sie betet ihren Verlobten in seinen gutgeschnittenen Anzügen an, kicherte in sich hinein, auch wenn sie ja schon weiß, dass man nur Jesus Christus anbeten darf.
Auf seine Nacktheit war sie trotzdem nicht neugierig, auch auf seine Schultern nicht, auf nichts eigentlich. Alles zu seiner Zeit. Sie fürchtet nur, dann nicht zu wissen, wie man es macht.
Von der Schuer konnte zwar nicht ahnen, worüber die ungarische Gräfin so selbstvergessen lustvoll kicherte und warum ihn das schaudern machte, oder warum der Schauder sie noch begehrenswerter erscheinen ließ. Obwohl er ja nichts von ihr wollte. Ich will nichts. Ein wenig wurde sie in seinen Augen zum schönen Racheengel. Wobei er gar nicht verstand, warum er das dachte und was dieses engelhafte Wesen wohl rächen müsste. Seine grauenhafte Ehe, sein ganzes infernalisches bisheriges Leben.
Oder wenn die Büste nicht ihm nachgebildet gewesen sei, sie habe näher treten müssen, sei etwas doch merkwürdig gewesen, im Übrigen bete sie die Kunst und die Künstler an, sie sagte das verbotene Wort unschicklich laut mit ihrem durchdringend scharfen, hingerissenen Stimmchen, so als habe sich der Künstler selbst porträtiert.
Das habe sie sich genau anschauen wollen, aber die Damen seien ihr unwillkürlich gefolgt.
Ihr sei es auch gleichgültig, wenn diese modernen Künstler mit ihren modernen Werken zuweilen ganz einfach skandalös sind. Sie merkte nicht, wie dieser Ausspruch alle am Tisch erstarren ließ. Die drei Frauen, sogar auch von der Schuer verstummten augenblicklich. Miss Bartleby, die bisher halblaut auf die Kinder eingeredet hatte und die zur größten Belustigung der Hausleute als leidenschaftliche geistige Anhängerin der nationalsozialistischen Bewegung galt, konnte sich kaum beherrschen. Ungefragt durfte sie sich nicht in die Konversation mischen. Diesen skandalösen Werken müsste man moderne Tempel errichten. Nach dieser Bemerkung wurde das Stimmengewirr wieder
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