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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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musste. Wie kam ich dazu, in den Wagen eines unbekannten Mannes zu klettern. Sie hatte uns nicht miteinander bekannt gemacht. Ich schlug mit dem Kopf gegen den Türrahmen und gleich darauf mit dem Schienbein gegen den Rahmen des Vordersitzes. Ich hatte ihn gegrüßt, aber er hatte ins Dunkel gestarrt und den Gruß nicht erwidert. Stieg ich eigentlich in den Wagen eines unbekannten Mannes, um seine Frau zu verführen. Kein sehr überzeugender Grund, auch kein besonders wählerisches oder originelles Vorgehen, abgesehen davon, dass es nur zum Schein so war. Ich wollte niemanden verführen, hatte noch nie jemanden verführt. Vor Schmerz schrie ich auf und zischte, dann lachte ich, weil ich höflich zeigen wollte, dass ich schon wisse, wie lächerlich ich sei und wie unmöglich ich mich benehme.
    Klettere einer Frau nach, die nicht einmal meinen Namen kennt, und schon mache ich ihr was vor. Ich versuchte noch einmal, diesen fremden Mann zu grüßen, aber wieder tat er, als höre er es nicht. Ich verachtete, hasste mich zutiefst dafür, dass ich so anpasserisch war. Während ich im Dunkeln hineinkletterte und mich dumm anstellte und mir das Bein kaputt schlug, blickte ich diesen Mann an wie ein Tier ein anderes Tier. Wer mochte das sein, den diese Frau so wie mich schwachgemacht hatte. Der Rivale war ein schönes, großes dunkles Exemplar mit scharfen Gesichtszügen. Der bei aller roher Schönheit auch etwas Erschreckendes hatte. Vielleicht hatte ich bei ihm aber auch eine Eigenschaft entdeckt oder war vor einer Eigenschaft erschrocken, über die er gar nicht verfügte.
    In diesem Augenblick war ich meiner gar nicht mächtig, was ich wegen der Frau gegen jede nüchterne Vernunft akzeptierte. Der Mann musste mich doch einfach als Rivalen ansehen. Gleich schienen wir schon in aufflackernder animalischer Abneigung nach der Stelle Ausschau zu halten, an der wir den anderen packen konnten, wir schienen zu beobachten, wer schlagkräftiger war, stärker, geschmeidiger. Mit dem ersten Blick konnte sich schon alles entscheiden. Und richtig. In diesem Fall war der Körper das Entscheidende, seine Kraft, seine Geschicklichkeit, sonst nichts. Er war flinker als ich, tückischer, härter, offener und direkter, kampfbereiter, aber in seelischer Hinsicht war er nicht stärker. Auf dieser Ebene des animalischen Instinkts spürte ich voraus, dass der Körper, mit dem ich zusammenprallen würde, knochendürr, von Sehnen und Gereiztheit gespannt war.
    Mein zivilisiertes Ich sagte natürlich nichts dazu.
    Es war ein körperliches Gefühl, ein gemeinsames, wechselseitiges Gefühl, auch er sah mich so an, musterte mich, maß mich. Von Männern wusste ich mehr als er. Ich hatte die ersten Jahre meines Lebens in einem Internat verbracht, meine Erfahrungen gründeten in der Schlacht um die größeren Bissen und im harten Kampf um die Aufmerksamkeit der Aufseherinnen. Es war aber nicht zu entscheiden, wer von uns provokanter war. Die Mangelhaftigkeit oder Unehrlichkeit seines Wissens machte ihn verletzlich. Seiner körperlichen Beschaffenheit zufolge war er der angriffsbereitere, auch wenn ich, unserer Situation zufolge, der Angreifer war. Dem Anschein nach benahm natürlich auch er sich nicht feindselig, obwohl ich im ersten Augenblick nicht genau verstanden hatte, warum er meinen Gruß nicht erwiderte. Doch dann half er mir geradezu, kippte die Lehne des Vordersitzes nach vorn, ich solle ruhig hineinklettern, wenn es seine Frau so wünsche. Er bedauerte mich wegen meines angeschlagenen Kopfs. Dann rügte er, sich auf mein schmerzliches Zischen beziehend, sich selbst wegen meines Schienbeins. Warum hatte er mich nicht gewarnt. Sein Blick antwortete sogar auf die Frage, warum er diesen verdächtigen, bedrohlich wirkenden Ledermantel trug. Er wollte größer, stärker erscheinen, strenger, als er war. Ledermäntel gab es im gewöhnlichen geschäftlichen Umlauf nicht zu kaufen. Die Leute vom Geheimdienst trugen Ledermäntel, natürlich nicht irgendwelche kleinen Geheimbeamten, sondern die Chefs. Und die Polizeioffiziere. Man musste privilegiert sein, um zu so guter Ware zu kommen. Auch die Bezirksbosse der Partei trugen Ledermäntel, die Natschalniks, wie sie sich selbst nannten, die sich wöchentlich mindestens zweimal in ihren großen schwarzen Wagen ins Gebiet fahren ließen, wie sie das Land hochmütig und verächtlich nannten, mit großem Gedöns ausstiegen und dabei auszusehen versuchten wie die Verwalter der vertriebenen Gutsherren oder die

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