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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Entschluss, kein Gedanke, es geschah einfach.
    Sie hätte nicht mehr gewagt, von der Schuer anzublicken oder etwas zu sagen. Oder zu fragen, was seinem Jungen zugestoßen sei, das für ihn so selbstverständlich und gewöhnlich zu sein schien. Worüber hatten sie gesprochen, sie wusste es nicht mehr. Sie schämte sich tödlich, dass sie diesen monströsen Vater auch nur einen Augenblick mit Mihály Horthy hatte vergleichen können.
    Wie konnte ich bloß.
    Welch ein Glück, dass das Schicksal ihnen, als ihre Mutter sie verließ, einen gütigen, wenn auch gebrochenen Vater bewahrt hatte, mit dem sie gemeinsam weinen konnten.
    Kurz darauf kamen die Dienstmädchen zurück.
    Die Gräfin empfand auch deren Eifer als befremdlich und entlarvend. Wie das ganze Esszimmer mit seiner äußerst bürgerlichen, eine düstere Stimmung verbreitenden Einrichtung. Die Dienstmädchen räumten die überflüssig gewordenen Gedecke auf eine Art ab, als hätten sie gründliche Übung im Beseitigen der Spuren hässlicher Szenen. Rasch und schmerzlos. Trotzdem war die Gräfin von dem eingeübten Verhalten irritiert.
    Was ist denn in mich gefahren, sagte sie sich. Sie verstand nicht mehr, was sie kurz vorher noch von diesem wildfremden Mann gewollt hatte und in welche Wissenschaft sie die Nase hatte hineinstecken mögen.
    Immerhin hatte sie genügend gesellschaftliche Erfahrung, um zu wissen, dass solche Pannen eben vorkommen und man sie am nächsten Tag schon vergessen hat. Sie wäre wegen eines Mannes untreu geworden, der bereit war, seine Frau zu betrügen, vielen Dank, einer, der seine Kinder quält und nicht einmal im Zaum zu halten vermag.
    Ein solcher Mann, schien sie sich beruhigen zu wollen, ist nichts wert, so einen brauchte sie nicht.
    Niemand unterbrach die Stille.
    Sie setzten pflichtschuldig das Essen fort, putzten alles sauber weg. Lächelten freundlich und abweisend, klapperten mit dem Besteck zu laut auf dem feinen Porzellan. Und mussten obendrein mit anhören, wie die anderen kauten und schluckten. Schon als kleines Mädchen hatte Gräfin Imola das schauderhaft gefunden, nie verstanden, warum ihr engelhaft sanfter Vater so laut kaute. Das hätte der einzige Ansporn sein können, doch etwas zu sagen, um sich nicht aus so intimer Nähe zu hören.
    Man kann nie so gesittet kauen und mahlen, dass die Kinnlade, die Zähne und die Zunge keine Schmatz- und Schnalzgeräusche von sich geben.
    Schauderhaft.
    Doch es hätte als gleicherweise unanständig gegolten, angesichts der familiären Spannung etwas auf den Tellern zurückzulassen. Aber Besteck lässt sich einfach nicht geräuschlos mit Porzellan in Berührung bringen, selbst wenn das Porzellan noch so fein ist.
    Und so wohlerzogen man auch ist.
    Wenigstens waren sie damit rasch durch, die Teller wurden abserviert. Gräfin Auenberg hörte sich schon, wie sie ihren Freundinnen von diesem Besuch berichtete. Reizende Leute, aber ich habe in meinem Leben noch nie auf so harten Stühlen gesessen.
    Bei von der Schuers wurde die Platte kein zweites Mal herumgereicht. Jeder aß so viel, wie er sich beim ersten Mal genommen oder vorlegen lassen hatte. In der peinlichen Stille ließ die Nachspeise nicht auf sich warten, was die an französischen Essgewohnheiten geschulte Gräfin einigermaßen erstaunte und ein wenig irritierte. Das ist doch kein Essen, das ist hastige Nahrungsaufnahme. Zum Glück war es eine winzige Portion, ein ganz hervorragender, mit einer Kaffeebohne dekorierter
soufflé glacé au café
. Gräfin Auenberg schob auf dem muschelförmigen Tellerchen die fettig glänzende Bohne unbemerkt beiseite, Karla Baronin von Thum zu Wolkenstein und Freiherr von der Schuer hingegen hoben sie sich pflichtgemäß in den Mund und zerknusperten sie laut.
    Nachdem sie in der erstarrten Stille des Hauses mit dem Knuspern endlich fertig waren und sich alle drei feierlich und erleichtert mit den großen Damastservietten die Lippen betupft hatten, brach von der Schuer als Erster das Schweigen.
    Mit der Erlaubnis der Gräfin würde er sie
to the living-room
hinübergeleiten, so sagte er es, wahrscheinlich aus Versehen auf Englisch, er möchte sich gemäß seinen ursprünglichen Plänen, von denen er ungern abkommen würde, mit der Baronin zu einem kurzen Gedankenaustausch zurückziehen, wobei er sich gewiss des Verständnisses und der Geduld der Gräfin versichert wissen dürfe.
    Die Gräfin, im Bann einer merkwürdigen, kühl wirkenden Zerstreutheit, sagte nichts, blickte ihn auch nicht

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