Parallelgeschichten
Fest mitbringen sollten und die seine Frau vergessen hatte. Er hätte es wissen müssen. Sie hätten doch abgemacht, dass sie sie aus dem Kaffeehaus mitbringen würde. Es sei noch nie vorgekommen, dass sie eine Abmachung eingehalten habe. Dann änderte er den Ton und beschwor mit bedrohlicher, umständlicher und kalter Präzision ihren Dialog vom Vormittag herauf, was er gesagt hatte, was sie gesagt hatte. Um zwischendurch im Dunkeln dramatisch zu brüllen: So war es doch, oder etwa nicht. Worauf er keine Antwort erhielt. Trotzdem sprach er von diesen belanglosen Einzelheiten so ausführlich und mit einem solchen unkontrollierten Genuss, als sei jede seiner kleinsten Gesten, jedes einzelne Wort von ungeheurer Wichtigkeit. Seine Selbstgefälligkeit kannte wahrscheinlich keine Grenzen, schon die Tatsache, dass er sich an diese Einzelheiten erinnerte, schien für ihn die reine, unantastbare Wahrheit zu bezeugen. Offensichtlich brauchte er tatsächlich jeden noch so kleinen Beweis, da jemand die Richtigkeit seiner Worte dauernd in Zweifel zog. Als müsse er sich vor den Augen der Welt gegen eine wiederkehrende, heimliche Anklage verteidigen. Wahrscheinlich war seine Frau das Ungeheuer, das alle seine Worte anzweifelte. Vielleicht kann sie ja mit ihrem Spatzenhirn etwas so Einfaches nicht behalten, schmetterte er im Dunkeln, und dann müsste man dafür eine akzeptable Erklärung finden.
Dass eine Frau nie achtgeben kann, wenn man etwas sagt, nie.
Die Frauen sind einfach noch keine Menschen.
Worauf die Frau ganz still, mit geübter, wenn auch gespannter Geduld erwiderte, sie wisse nicht, was die Frauen täten oder nicht täten, sie habe sich ehrlich gesagt auch noch nie mit der Frage beschäftigt, wie weit sie mit der Menschwerdung gediehen seien, sie jedenfalls gebe acht, wenn es die Sache wert ist.
Aha.
Bei dieser Szene achtzugeben habe zum Beispiel keinen Wert.
Das schien ein Schlusspunkt zu sein.
Und sie befasse sich auch nicht mit den Nöten ihres Mannes.
Quietschend schwippten vor ihnen die Scheibenwischer übers Glas. Die Wagentür war offen geblieben, draußen knatterte der Wind, fuhr ins Wageninnere, spritzte Sprühregen herein. Wie ein auf Grund gelaufenes, auf die Seite gekipptes Schiff in den aufgewühlten Elementen. Wegen des Windes bekam ich etwas Luft, zwischen den beiden hingegen schien die Luft abgesaugt worden zu sein. Eine tödliche, fatale, stumme und taube Stille war zwischen ihnen entstanden. Vom Rücksitz konnte ich ihre Gesichter nicht sehen, nur zwei trotzig erstarrte Nacken und Hälse. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Es war ein alter Sportwagen, ein Coupé, auf dessen schmalem Rücksitz wohl eher die Koffer verstaut wurden.
In solchen Fällen ist es wohl besser, sich einzugestehen, dass man nicht in der Lage ist, etwas zu tun und es dabei bewenden zu lassen. Nicht einmal zufällig hätten sie sich angeblickt, beide schauten nach vorn.
Sie hatten ihr Zusammenleben zerrissen, es war vorbei. Dann aber würden sie nirgends mehr gemeinsam hingehen können. Ich konnte ja nicht wissen, dass sie das täglich mehrmals durchspielten. Fertig, aus. Ihre wechselseitige Wut brachte auch mich in tödliche Gefahr. Aber da war keine Tür zum Aussteigen. Sie brannten, ihr Fleisch rauchte von diesem Riss. In einem Augenblick hatte ich mehr über sie erfahren als der Anstand zuließ. Ihre wilde Entschlossenheit hatte zwar je eine andere Stärke, war je anders gestimmt, aber ihre sinnliche Intensität bezog sich strikt aufeinander.
Er hatte nur einen Augenblick verstummen wollen, vielleicht nichts anderes gewollt als nach der rhetorischen Frage eine Pause einlegen. Ihr unbarmherziger Satz überraschte ihn trotzdem nicht, im Gegenteil, als hätte er auf einmal doch eingesehen, wie vergeblich und überflüssig es war, weitere Reden zu schwingen, es hatte ihm die Sprache verschlagen, weil er gerade mit dieser grenzenlosen, unverfrorenen Gleichgültigkeit gerechnet hatte. Ihre Missachtung erschreckte ihn und ließ sein ganzes Wesen erschlaffen, befriedigte ihn aber auch.
Ich zog mich in die dunkle Ecke des Rücksitzes zurück.
Sein schmaler, jungenhafter Nacken war mir näher, nicht nur im physischen Sinn des Wortes. Dichtes dickfädiges, glänzendes schwarzes Haar hing darauf herunter. Von dort strahlte diese verschreckte Befriedigung ab. Nicht nur sein Ledermantel hatte einen schweren Geruch, sondern aus seinem ganzen Körper kam der Duft der Schwarzhaarigen. Ich bedauerte und beneidete ihn und hasste
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