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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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diese Frau, die ihn so behandelte. Ich verstand überhaupt nicht, was sie voneinander wollten und was mit mir geschehen würde. Da war keine Tür, durch die ich mit meiner Anteilnahme für den Mann still hinausspazieren konnte, ich war in der Anziehungskraft der Frau gefangen. Eigentlich wollte ich eher wegen der beiden aussteigen, nicht meinetwegen. Er hatte den Beweis für eine ungute Vorahnung geliefert bekommen, so viel jedenfalls ließ sich nachvollziehen. Das bereitete ihm Freude. Vielleicht verlor er andererseits tatsächlich etwas, aber dieser greifbare Beweis war wichtiger, war die Wahrheit, die vollständige, nackte Wahrheit, der er jetzt ins Auge blicken konnte.
    Nicht das Glück, sondern die Wahrheit war ihm wichtig. Die Frau war die Stärkere und Mächtigere, ja, aber die Wahrheit war auf seiner Seite, recht hatte er, und so blieb er unbeugsam. Und auch wenn sie beide jetzt starben, die vollständige Wahrheit war nunmehr für alle Zeiten in seiner Hand.
    Was vorher als Hochmut, Zank und Prahlerei dahergekommen war, nahm jetzt in der langen Stille eine andere Gestalt an. Ich spielte nicht einmal in dem Sinn eine Rolle, dass sie mir irgendetwas vormachen oder vor mir verbergen mussten. Ich glaube, sie hatten völlig vergessen, dass ich hinter ihnen im Dunkeln saß. Darin lag etwas ganz Unbekanntes, Ungewohntes, so etwas war mir noch nie zugestoßen. Der Mann war nicht mehr aufgebracht, sie hatten beide ihre Gefühle rasch zurückgenommen. Auf dem Rücksitz zusammengekauert, kam ich nicht vom Gedanken los, dass das meinetwegen so abgelaufen war. Sie blieben im Dunkeln sich selbst überlassen, jeder führte die Diskussion für sich fort. Der ursprüngliche Gegenstand ihres Streits war belanglos geworden, jetzt lieferten jede kleine Regung oder auch gerade die Reglosigkeit und das unerträgliche Schweigen des anderen neuen Stoff für die innere Auseinandersetzung. Sie hatten nicht nur mich vergessen, sondern auch den Wind, der durch die offene Wagentür den Sprühregen ungehindert weiter hereinfegte.
    Ich war wütend, warum hatte sie mich da hineingezogen. Sie hatte doch voraussehen müssen, wie die Sache laufen würde. Wieso musste ich das mitmachen, und überhaupt, was würde zwischen ihnen noch passieren. Wer würde der Glückliche sein, der dem anderen das erste Wort abtrotzte, wer der Sieger, wer würde die im Schweigen aufgestaute Irritation auf geschicktere Art heimlich freilassen. Die Straße schimmerte schwarz im spärlichen Laternenlicht. Zart, müde, gelb fiel etwas davon durch die regengesprenkelten Scheiben des Wagens herein. Das Kirchentor wurde von innen dröhnend geschlossen, der Schlüssel quietschte im Schloss. Von meinem Platz aus konnte ich ihr Profil ausmachen, das Dröhnen ließ es erzittern, wegen des Quietschens vibrierten ihre Wimpern, sie verabschiedete sich von ihrem Bruder, von der verpassten Theologie, für heute war genug der Philosophie. Für nichts hätte sie den Mann angeblickt, mich schon gar nicht. Und ich durfte mich über ihre Schamlosigkeit aufregen. Dass sie mit ihrem Ehekrach nicht warten konnten, bis ich weg war. Aber wie hätte ich weggehen können. Auch ich führte bei mir meine eigene stupide Diskussion. Ich wollte die Frau beleidigen, wollte sie im Verdacht haben, dass sie mich benutzte, um ihren Mann eifersüchtig zu machen. Ich hätte es gern ausgesprochen. Bestimmt habe sie mehr als genug zu beichten. Hauptsächlich ihre verdammte Doppelzüngigkeit und Heuchelei, die benimmt sich wie eine abgebrühte Dame der höheren Schicht, eine wohldressierte höhere Tochter. Mir gesteht sie keine zehn Minuten zu, ihr Mann genügt ihr nicht, aber für die Kirche, da hätte sie Zeit, für die Theologie, auch wenn das Flitterding nach eigener Angabe in Sünde lebt, und was soll dann das alles. Dass ich schon wieder auf eine solche idiotische Frau hereinfalle. Bei solchen armseligen inneren Monologen wird man natürlich noch einsamer, verheddert sich immer stärker in den Tang seiner Irritationen. Es war auch komisch, dass mich mit dem Nacken des unbekannten Mannes jetzt schon mehr körperliche Gefühle verbanden als mit der Frau, dieser Hure, und ich dennoch alles daran maß, wie sie auf das reagierte, was geschah.
    Das glänzende Profil ihres Gesichts ließ natürlich auf nichts eine Antwort erkennen, weder auf Zweifel noch auf Anklagen. Ihre reglosen Wimpern, die Nase mit den starken Flügeln, ihre vollen Lippen, ihr weiches Kinn waren wie eine mondbeschienene

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