Parallelgeschichten
Berglandschaft, die von der Außenwelt höchstens gestreift wurde; und ihre Antwort war nach wie vor gleichgültiges Schweigen.
Überhaupt schien ich sie bei jedem einzelnen Mal, wenn ich sie anschaute, zum ersten Mal zu sehen. Sie hatte viele Gesichter. Ich musste mich daran gewöhnen, dass ich immer nur eins sah, und das hatte nichts Physisches. Nicht einmal Anziehung war im Spiel, da ich ja nicht wissen konnte, welches ihrer vielen unbekannten Gesichter mich gerade erwartete. Und Anziehung muss in irgendeiner Art von Sicherheit gründen. Die Frau, die ich hier im Auto auf dem Vordersitz sah, hatte nicht viel mit der Frau gemein, die ich im Lokal hinter der Kaffeemaschine im hochzischenden Dampf gesehen oder mit der ich mich gerade auf der Straße gezankt hatte. Ich weiß nicht, wie sie das machte. Ich war völlig damit beschäftigt, sie insgeheim zu beschimpfen und ihren Anblick zu studieren, ihre Schönheit weitete mir noch immer die Brust, auch wenn ich nicht die geringste Vorstellung davon hatte, was ich von einer solchen Schönheit lernen konnte, und noch weniger begriff, warum ich ihr so ausgeliefert war. Was für ein Irrwitz. Meine Lage schien ziemlich aussichtslos, ich hatte keine Ahnung, wie ich mich befreien könnte.
Jetzt konnte ich sie also nach Herzenslust betrachten, beschnüffeln, verantwortungslos, schonungslos, aber gerade in dieser unbezähmbaren und lächerlichen Sehnsucht war ich eingeschlossen. Man möchte ausbrechen, während die Befriedigung gerade daher rührt, dass man das nicht kann. Und so war es wirklich mein Körper, der den Mann verstand, als er diese Frau nicht länger ertrug und gegen seine Absicht die Reglosigkeit aufgeben musste. An seiner Stelle hätte ich dasselbe getan. Er kapitulierte nicht vollständig, er begann in seinen Taschen zu kramen, aber trotzdem, er tat etwas, und das verriet Schwäche, Ausgeliefertsein, Wankelmütigkeit. Ich war nicht weniger ausgeliefert, nur fand ich nicht einmal einen Vorwand, sie hatte mich mit ihrer Willkür völlig gelähmt. Er legte ihr etwas, einen Gegenstand, ein heimliches Geschenk, ich sah es nicht, in den Schoß.
Du bist ja verrückt geworden, bist völlig verrückt geworden, rief sie.
Ja, das scheint mir auch, sagte er.
Dann musste er auch noch über ihre Knie hinweggreifen, um etwas aus dem Handschuhfach zu holen. Wahrscheinlich wollte er sich eine anzünden, fand aber dort keine einzige verdammte Scheißzigarette, und um doch etwas zu tun, sich nicht so zu erniedrigen, stellte er wütend die Scheibenwischer ab.
Dann könnten wir vielleicht doch losfahren, Simon, sagte die Frau und ließ den bewussten Gegenstand in der Tasche verschwinden.
Er gab seine Schwäche bereitwillig zu, was sie wahrscheinlich immer wieder mit neuer Unbarmherzigkeit erwiderte.
Was heißt, vielleicht doch, kannst du mir sagen, was das bedeuten soll.
Statt hier zu hocken.
Wenn du so gütig wärst, die Tür zu schließen, könnten wir vielleicht tatsächlich losfahren, Klára.
Das brauchst du nicht zweimal zu sagen, Simon.
Dass sie sich beim Namen nannten, geschah offensichtlich immer noch aus Verärgerung. Es schien zu heißen, was immer geschieht, wir dürfen und werden die Geduld nicht verlieren. Auch wenn sie die Geduld schon längst verloren hatten, und überhaupt stellten sie ja die Geduld des anderen auf die Probe. Wahrscheinlich war auch das ein eingeübtes Spiel zwischen ihnen. Der eine tat, als sei seine Geduld unerschöpflich, was dem anderen den Kragen platzen ließ. Obendrein fand er seine Zigaretten nicht, während sie ihre Wut schön abreagieren konnte, indem sie die Tür laut zuknallte. Trotzdem geschah nichts. Er fuhr nicht los.
Sie blickten beide nach vorn, abweisend und reglos. Jetzt hätte sie ihre Niederlage irgendwie kompensieren müssen oder das Ganze aufgeben, aber keiner der beiden durfte das.
Darf ich mich erkundigen, Klára, fragte er ganz still und verstummte.
Dann brüllte er aus Leibeskräften ins Dunkel hinaus, an welchen Fotzenort du mich hinbefiehlst. Befiehl mir, befiehl. Du weißt ja, ich erfülle dir jeden Wunsch.
Statt zu antworten, wandte sie sich rasch um und warf mir einen kurzen Blick zu, als wolle sie sich in dieser unmöglichen Lage doch vergewissern, dass ich noch da war, auch wenn sie mich überhaupt nicht vergessen hatte. Ich hatte in meinem Leben noch nie gehört, auch noch nie gedacht, dass ein Mann so zu einer Frau sprechen darf. So etwas kam nicht einmal in Romanen oder Filmen vor. Tatsächlich aber
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